Leben in der smarten Welt – digitale Transformationen: eine zeittheoretische Betrachtung / Prag 2018

Leben in der smarten Welt – digitale Transformationen:
eine zeittheoretische Betrachtung

Konstantin und Kornelius Keulen

Das Leben in einer von Digitalisierung überzogenen Welt schafft verschiedene Transformationen. Es sollen temporale Transformationen und ihre Auswirkungen auf zeittheoretische Implikationen und ihre Konsequenzen für den Nutzer beleuchtet werden. In diesem Beitrag wird zum Einen der Frage nach der Möglichkeit von Überwachung und Kontrolle im Internet nachgegangen werden, zum Anderen wird der Mythos einer Echtzeitübertragung erörtert.

1. Netzneutralität versus Überwachung
Die Forderung nach einem demokratischen Internet, das offen und anpassungsfähig bleibt, ist der Kampf für die Netzneutralität. Das Design des Internet mit seiner Unvorhersehbarkeit und Unentscheidbarkeit begünstigt eine Netzneutralität. Es ist zu fragen: welche Auswirkungen haben die an den Knoten zu treffenden Mikroentscheidungen ?
Was ist unter den Topos Mikroentscheidungen innerhalb der digitalen Kultur überhaupt zu verstehen? Router und andere Knoten treffen ständig Entscheidungen wie sie mit den eintreffenden Datenpaketen umgehen. Der Medienwissenschaftler Florian Sprenger bezeichnet diese als Mikroentscheidungen und meint damit „Entscheidungsprozesse, die so schnell und in so großer Menge ablaufen, dass sie die Kapazität des Menschen bei weitem überschreiten und nur noch von Protokollen und Algorithmen geleistet werden können.“ (Sprenger 2018, o.S.). Obwohl der Mensch im Akt der Mikroentscheidung, als eine vollautomatisierte Ausführung, keine Rolle mehr spielt, handelt es sich doch um eine vorab von Menschen getroffenen Entscheidung, auch wenn in der Folge „Maschinen mit Maschinen kommunizieren und Computer über Computer entscheiden.“ (ebd.)
Die Mikroentscheidungen in Mikrotemporalitäten initialisieren Unterbrechungen und diese öffnen das Zeitfenster der Kontrolle. Hier findet sich der technische Ansatzpunkt für Überwachung.
Zum einen sind es „Designentscheidungen jener, die diese Maschine [Internet] planen, implementieren, programmieren, am Laufen halten und updaten“ (ebd., S. 14). Das sind die Ingenieure, Softwarearchitekten, Protokoll-Designer, Manager oder Militärstrategen sowie die Administratoren von Netzwerken, Softwares, Backbones und Interfaces, welche unsichtbar gemacht durch die großen Unternehmen wie Nokia, Motorola, Google, Apple, Cisco, Level3, T-Mobile oder Sprint, den Interessen dieser Gruppierungen dienen und aus den Notwendigkeiten legislative Entscheidungen machen (vgl. ebd.). Damit steht das Internet unter der „unerbittlichen `Tyrannei des Gewinnstrebens`“ (ebd., S. 15).
Doch nicht nur an den Netzknoten können in den Zeiten der Unterbrechung Kontrolle und Überwachung erfolgen, sondern auch gezielt durch im Internet versandte Schadsoftware in Form von Trojanern und Würmern, Attacken durch webbasierte Software (Drive-By-Downloads), manipulierte Smartphone-Apps, manipulierte E-Mails (Spam), stille SMS oder zusammen geschaltete Computer (Botnetze) usw. erfolgt sowohl in der Privatsphäre als auch in den sozialen Medien (wie Facebook und Twitter) digitale Spionage und Manipulation. Denial-of-Service-Attacken blockieren ganze Webserver, so dass diese nicht mehr im Internet erreichbar sind und gleichzeitig wird Schadsoftware aktiviert. Fake News führen zu einer veränderten Meinungsbildung und zu manipuliertem Handeln.
Es steht die Frage, ob das Internet in seiner ursprünglichen Intention, ein demokratisierendes zu sein, beständig offen für die Zukunft, anpassungsfähig zu bleiben und doch immer veränderbar, noch so zu realisieren ist. Das sind die Forderungen: Entscheidungen müssen stets revidierbar sein, und es muss vor Missbrauch zu schützen sein. (vgl. ebd.)
Sind diese Forderungen überhaupt erfüllbar? Oder ist es nicht so, dass zum einen Router und Server, über welche alle Kommunikationswege laufen, so eingesetzt werden, dass sie für eine Überwachung geeignet sind? Die Hardwareneutralität wird durch den Routerzwang (nur bestimmte Modelle sind zugelassen und werden dann auch günstig an den Nutzer abgegeben) von einigen Providern unterlaufen. In der für den Nutzer zur Verfügung stehenden Hardware und Software sind bereits die Möglichkeiten der Überwachung implementiert (vgl. ebd., S. 58). Die Aufhebung der Netzneutralität wird zur Regel. Es sei nochmals betont: Netzneutralität bedeutet, dass die Mikroentscheidungen gefällt werden „unabhängig von den übertragenen Inhalten und der von den beiden Seiten verwendeten Hardware“ (ebd., S. 36). Einzig die Knoten verfügen über die Fähigkeit des Routing. Die Mikroentscheidungen implementieren Neutralität oder Überwachung. Sie sind der Ort und die Zeit einer möglichen Überwachung.
Technizität und Sozialität bedingen einander. „Erst durch die Herstellung von Verbindungen von Netzwerken, durch eine auf materiellen Grundlagen beruhenden Konnektivität“ (ebd., S. 29) kann eine Kollektivität entstehen, die ihren Ausdruck im kollektiven Handeln von Individuen findet. Dadurch kann Macht ausgeübt werden. Es kann von außen entschieden werden „wer kommuniziert und wer nicht, was übertragen wird und was nicht, wer verbunden und wer getrennt wird“ (ebd. S. 78). Teile des bisher frei zugänglichen Netzes sind für User bestimmter Provider nicht mehr zugänglich.
Der Medienjournalist Sascha Lobo postuliert: „Das Internet ist kaputt, die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht.“ (Lobo 2014, S. 9). Trotz des pessimistischen Auftaktes seines Einwurfes, verrät doch sein Nachsatz noch eine Hoffnung in die Möglichkeiten der globalen Vernetzung für die individuelle und kollektive Entfaltung des Individuums. Auch Sprenger räumt ein, dass sich die Relationen der Menschen zueinander verändert hat: sie ist „wertvoll, verhandelbar und verarbeitbar geworden“ (Sprenger 2015, S. 68). Das macht einerseits die Individualität und Subjektivität zur Ware, andererseits erwerben die Subjekte Fähigkeiten und Möglichkeiten in der digitalen Vernet¬zung, ihre Gestaltungsräume im Vollzug des Internet auf der Basis einer Erweiterung von Wahrnehmungs- und sinnlichen Verarbeitungsstrategien kollektiv und individuell zu transformieren. Das vollzieht sich in einem gewaltigeren Ausmaß als es durch die bisher bekannten Medien möglich war.
Und noch einen anderen Punkt gibt Sprenger zu bedenken: Netzneutralität und Über¬wachung sind zusammen zu denken. Denn zur Verbrechensbekämpfung kann es keine Netzneutra¬lität geben (ebd., S. 70f.). „Jeder Datensatz gerät in die Kontrolle der NSA, weil über die Verteilung entschieden werden muss und dazu die Übertragung unterbrochen wird. Dieses Zeitfenster ist der Lebensraum der NSA.“ (ebd., S. 70). Doch schränkt er ein, dass dem gezielten Abhören einzelner Verbindungen das diffuse Abhören aller Verbindungen entgegensteht (vgl. ebd., S.75). Staatlichen Behörden wird jedoch die Kontrolle und Steuerung bestimmter Bevölkerungsgruppen erleichtert. Aus der Distanz heraus ist es zum Beispiel in der Polizeiarbeit, entsprechend den herrschenden Macht- und Kapitalverhältnissen, möglich, ohne direkten menschlichen Kontakt mit Dissens umzugehen, Abschreckungstaktiken anzuwenden, oder die Bildung von größeren Menschenansammlungen präventiv zu verhindern. Dabei behandelt das technische System sie nicht als Individuen, sondern lediglich als ´Träger von Datenpunkten` (vgl. Sadowsky/Pasquale 2015, S. 27f.). „Personen, Gebäude und Geräte sind nicht mehr klar voneinander zu unterscheidende eigen¬ständige Entitäten, sondern Assemblages, bestehend aus Fleisch, Beton und Informationen“ (ebd., S. 29).
Die Kontrollmacht der Daten, die aus ihrer im Überfluss vorhandenen Potentialität für Überwachung und Kontrolle und ihren Einsatz für diese hervorgeht, vermehrt sich ständig, indem sich der Datenfluss im Netz durch Kompression und eine immer höhere Geschwindigkeit im Datentransport ständig steigert. Identitäten können bewertet und sogar gestohlen werden. Damit erhalten die allgegenwärtigen Vernetzungen den Status von Reputationstechnologien (vgl. Roderick 2014, S. 740).
Vor diesem Horizont begegnen uns im Internet einerseits die hochgelobten und ersehnten Eigenschaften eines freien, offenen und neutralen Netzwerkes gemeinsam mit einer „Totalüberwachung des Internet“, einer „digitalen Kränkung des Menschen“ sowie einem „Mittel zum Zweck der Kontrolle und Machtausübung“ (Lobo 2014, S. 3f). Foucaults Begriff der Biomacht kann einige Erklärungen zum überwachten und gesteuerten Subjekt, das jetzt in der digitalen Zeit zu einem Datensubjekt wird, liefern. Eine Form der Biomacht ist:

„um den Körper als Maschine zentriert […]. Seine Dressur, die Steigerung seiner Fähigkeiten, die Ausnutzung seiner Kräfte, das parallele Anwachsen seiner Nützlichkeit und seiner Gelehrigkeit, seine Integration in wirksame und ökonomische Kontrollsysteme – geleistet haben all das die Machtprozeduren der Disziplinen: politische Anatomie des menschlichen Körpers.“ (Foucault 1986, S. 134f.).

Für die heute dominierende Welt der Informations- und Kommunikationstechnologien mit den Computernetzwerken führt uns Deleuzes Prinzip der Kontrollgesellschaft über die von Foucault entworfene Theorie der Disziplinargesellschaft hinaus. Der Mensch wird zur analogen oder digita¬len Schnittstelle. Deleuze formuliert für die Herausbildung einer neuen Art von Machtausübung drei zentrale Komponenten der Kontrollgesellschaft: Dividuen, Rhizome und Passwörter (vgl. Deleuze 1993, S. 261, Postskriptum über die Kontrollgesellschaften). „Rhizome sind Assemblages von Begriffen, Beziehungen, Materialien und Handlungen. Sie haben keine klaren Grenzen, sie sind fließend, immer aktiv, eine pulsierende Kraft, die mit unterschiedlicher Intensität von verschiedenen Richtungen aus wirksam ist.“ (Sadowski/ Pasquale 2015, S. 17). Dieses Zitat unterstreicht das Bild des Internet als ein sich ständig wandelbares Gebilde: Es ist ein Konstrukt, das allgegenwärtig in seinen Aktivitäten ist, unbestimmt, nicht eindeutig zu fassen, raumgreifend, häufig unseren Blicken entzogen. Alles individuelle, gesellschaftliche und politische Leben wird in dieses Konstrukt hineingezogen und transformiert im Sinne einer Netzkompatibilität, die sich ständig neu reproduziert.
Das Subjekt wird durch die Macht der Programme (in Sensoren und RFID-Lesegeräten, die es benutzt oder am oder sogar im Körper trägt, durch die Verbindungen seines Smartphones oder Computers) dividualisiert. „Menschen als Dividuen sind nur frei, solange all ihre Passwörter funktionieren: jene Produkte der Dividualisierung, die über Zugang oder Ausschluss entscheiden und die es erlauben sich frei durch das rhizomatische System zu bewegen oder davon abhalten.“ (ebd., S. 18). Der Mensch wird zu einer Entität, die jederzeit in eine beliebige Anzahl von Teilaspekten aufgespalten werden kann und damit besser zu analysieren und zu kontrollieren ist (vgl. auch Crary 2014).
Indem die Temporalität betont wird, kann unserer Meinung nach sichtbar werden, wie sehr Technizität und Sozialiät in und durch die Mikroentscheidungen miteinander verschränkt sind (vgl. Sprenger 2015, S. 79f.). Die Zeitdimension liegt in der technischen Ebene. Es ist lineare Zeit, die verbraucht wird, messbar und festgelegt durch die Übertragungsprotokolle. Die Zeit für die soziale Ebene des globalisierten Netzwerkes entspringt zwar der Technik der Netze, doch erfährt sie durch die verschiedenen Relationen eine Ausprägung, welche in das Leben der Mensch hineinwirkt und es mitbestimmt. Die Mikroentscheidungen an den Knoten legen fest „wer kommuniziert und wer nicht, was übertragen wird und was nicht, wer verbunden und wer getrennt wird“ (ebd., S. 78). Damit sind sie durch ihre globale Verfügbarkeit politisch, stellt Sprenger fest. Denn, da an den Knoten ständig Entscheidungen gefällt werden, sind diese auch die Stellen, wo Überwachung stattfinden kann und damit Macht ausgeübt wird. Kommunikation kann unterbrochen werden – das bedeutet Macht: „Dabei unbeobachtet zu sein bedeutet, auf eine unsichtbare Art Macht auszuüben.“ (ebd., S. 105).
Soziale Netzwerke stehen global in immer neuen Relationen. Durch die sozialen Medien verschafft das Internet dem Einzelnen globale Kommunikationswerkzeuge. Die Dienste im Netz wie Youtube, Facebook, Twitter, Instagram, WhatsApp, SnapChat erzeugen neue Medien, die mit großer Geschwindigkeit auftauchen und innerhalb von Wochen von hunderten Millionen Menschen genutzt werden, ohne dass sich die Menschen in der Kürze der Zeit anders als bei Telefon und Fernsehen, denen sie Konkurrenz machen, und an die sich die Menschen innerhalb von Jahrzehnten gewöhnen konnten. Es kursieren Megabytes von Desinformationen im Netz und provozieren wieder neue Falschmeldungen. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass immer neue Verfahren zur Verschlüsselung und Decodierung von Daten bereitgestellt werden. Der Nutzer ist letztlich aufgerufen, sich immer wieder mit neuen Technologien und Verfahren auseinander zu setzen, Informationen auf ihren Inhalt hin zu prüfen.
Der überstürzte Wandel, den diese Medienflut auslöst, ruft eine neue Transparenz hervor. Die digitale Transparenz, wie sie von Daniel Dennett und Deb Roy bezeichnet wird (vgl. Dennet/Roy 2015), zeigt zum einen neue Wege für die Menschen auf, ihre Daten zu schützen und Nutzen aus den neuen Möglichkeiten zu ziehen. Zum anderen sind sie herausgefordert, auf das immer schnellere, billigere und problemlosere Agieren im Netz zu reagieren, denn ihre Aktivitäten können auch schneller und umfangreicher nachvollzogen werden. Der Zugang zu den Daten wird einfacher, einfacher für den Nutzer und einfacher für die, welche die Datenströme für ihre Zwecke nutzen wollen. Doch der Druck auf diese verstärkt sich durch die große Resonanz in den sozialen Medien.
Da in diesem Beitrag die temporale Bestimmung des Netzes im Vordergrund steht, soll hier dieser Gedanke nicht weiter verfolgt werden. Zeitliches Geschehen wird speicherbar und damit manipulierbar. Die „Zeit selbst wird zu einer manipulierbaren Variablen“ (Krämer 2004, S. 206), führt Sybille Krämer in Anschluss an Friedrich Kittler aus, und sie fährt in Bezug auf die Digitaltechnik fort: „Was schaltbar, also diskret verfasst ist, kann in Bezug auf seine Zeitachse manipuliert werden. […] Zeit bleibt nicht länger eine universelle Form unserer Wahrnehmung oder unseres Erlebens, sondern wird zur universellen Form technischer Verfügbarkeit.“ (Krämer 2004, S. 221).

2. Die Codierung der Zeit
Echtzeit, Gleichzeitigkeit, Synchronisation, Beschleunigung, Entschleunigung sind Begriffe für Zeitphänomene, die in unserer Gesellschaft den Prozess der Digitalisierung mit veränderten Zeit¬konzepten in Verbindung bringen.

2.1. Echtzeit
Wenden wir uns dem Begriff ´Echtzeit`, always-on, zu. Dieser ist unbedingt als irreführend zu bezeichnen, denn „kein technisches System kann in Gleichzeitigkeit operieren, sondern immer nur in Rechtzeitigkeit, die die Übertragung elektrischer oder elektronischer Signale benötigt. Jede Übertragung braucht Zeit“ (Sprenger 2018, o. S.).
Als Echtzeit gilt dann auch, „wenn Orte mittels Medium die gleiche Zeit teilen und Akteure den gleichen Raum teilen können, obwohl Distanzen zwischen ihnen liegen“ (Sprenger 2015, S. 95f).

„Das Internet, und überhaupt alle Medien auf Netz-Werk-Basis, sind heute die wichtigsten Technologien, weil sie Zugang zu konnektiver Informationsverar¬beitung in Echtzeit verschaffen, ohne den individuellen Input zu vernachlässigen oder zu eliminieren, daraus resultiert, daß die Informationsprozesse und die aus ihnen hervorgehende soziale Organisation ´konnektiv`, verbindend und individuell zugleich sind. Das ist ein Novum in der Geschichte der Medien.“ (Kerckhove 1998, S. 195).

Der Nutzer meint in Echtzeit, also einer immerwährenden Gleichzeitigkeit, zu handeln. Doch aus der Sicht der technischen Funktion kann es im digitalen Netz keine Echtzeit geben. „Echtzeit kann nur bedeuten, dass die Signale in der Geschwindigkeit ankommen, mit der sie schnellstmöglich verarbeitet werden. Echtzeit liegt immer zwischen zwei Zeitpunkten und ist damit nicht instantan.“ (Sprenger 2015, S. 100). Damit begründet Sprenger, dass Echtzeit technisch und physikalisch nicht realisierbar ist, denn kein Signal kann instantan sein.
Bei der Arbeit mit Computern kann nur annähernd Echtzeit erreicht werden, „wenn sich ein Prozess weniger als 10 bis 20 Millisekunden verzögert und daher unterhalb der Wahrnehmungsschwelle abläuft“ (Heidenreich 2004, S. 97).
Auch in der neueren technischen Entwicklung des Streamings spricht man fälschlicherweise von einer Echtzeitübertragung von Bild und Ton. Hierbei wird eine Datenübertragung zeitbezogener Daten erreicht, insbesondere von Musik und Film, welche ohne merkliche Verzögerung wiedergegeben werden können. Die Wiedergabe erfolgt jedoch um 2 bis 6 Sekunden verzögert, was durch spezielle ´Puffer` aufgefangen wird. Der Stream wird für jeden Nutzer gesondert bereitgestellt. Der Nutzer hat das Gefühl von Echtzeit.

„Wo Aufschub und Echtzeit ununterscheidbar werden, ist Zeit selbst kritisch – wobei ein Kriterium für das Zeitkritische all das ist, was unterhalb der menschlichen Wahrnehmungsschwelle physiologisch abläuft oder technisch zum Ablauf gebracht wird.“ (Ernst 2007, S. 176).

Bereits 1993 analysiert Paul Virilio im Spannungsfeld von Beschleunigung und Stillstand die durch die entfesselte Mobilität erreichte Geschwindigkeit in Bezug auf gesell¬schaftliche und technische Phänomene: „Die Echtzeit der Telekommunikation steht also nicht allein, wie gemeinhin behauptet wird, im Gegensatz zur Vergangenheit, zur ´aufgehobenen Zeit`, sondern auch im Gegensatz zum Gegenwartsgeschehen und seiner Aktualität.“ (Virilio 1993, S. 49). Daraus lässt sich zeittheoretisch schlussfolgern: die Zeit erweitert sich in eine Zeit der sich widersprüchlichen Einheit aus eigener Aufmerksamkeit des Menschen und des inneren sich stellenden Vermögens des Netzes, Konnektionen einzugehen.
Sprenger verweist in seinem Artikel Alternativen zur Gegenwart vom April 2018 auf die Gefahr, der

„auf ständiger Synchronisation und damit Ungleichzeitigkeit hergestellter Rechtzeitigkeit beruhende[r] Operationsweisen technischer Medien, [welche] damit ihre Machtverhältnisse verdecken. Geht man von einer Echtzeit der uns umgebenden Computer aus, sei es Internet, ubiquitous computing oder auch Autos mit avancierten automatisierten Assistenzsystemen wie der Tesla, dann bleiben genau jene Operationen unsichtbar, in denen unterschiedliche Zeitordnungen synchronisiert und aufeinander bezogen werden, ohne jemals gleichzeitig zu sein.“ (Sprenger 2018, o.S.).

Damit ist die Sozialität des Internet als streng an seine technische Architektur gebunden zu bezeichnen. Denn die Zeitlichkeit, die Räumlichkeit und die globale Verfügbarkeit geben der technischen Kommunikation durch die Distributionen von Daten und Informationen eine neue Dimension.

2.2. Temporale Transformationen: Gegenwartsdiagnosen / verschiedene Vergangenheiten
Die Nutzer erzeugen mit den im Internet verbundenen Computer Zeit. Welche Zeit? In der digital vernetzten Computerwelt wird durch den Computer Zeit transformiert. Die Zeitmodi Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft sind Beschreibweisen einer Zeittransformation, die wiederum beschrieben werden muss. Wir tun dies mit den uns zur Verfügung stehenden Begriffen. Doch der Mensch ist aufgerufen neue Begriffe zu finden, um die Differenz aus der Zeitlichkeit der gespeicherten Daten und der Zeitlichkeit der verteilten Daten bezeichnen zu können. Die Gleichzeitigkeit der Vergangenheits – Gegenwart kann als eine solche Beschreibweise aus-gewiesen werden.
Eckhard Schumacher hingegen thematisiert in seinem Aufsatz Present Shock. Gegenwartsdiagnosen nach der Digitalisierung vom März 2018 den Begriff „Gegenwart als Zeitbegriff, als Denkfigur und Platzhalter für Eigenheiten der Jetztzeit“ (Schumacher 2018, S. 68). Er kritisiert „das Unmittelbarkeitspathos der Echtzeitkommunikation, den smartphongestützen Zustand des always-on, die instantane Verfügbarkeit und permanente Aktualisierbarkeit von allem und jedem, an jedem Ort, zu jeder Zeit.“ (ebd.).
Die Fixierung auf die Gegenwart als zentrales Problem der heutigen Gesellschaft infolge der weltweiten digitalen Vernetzung wird insbesondere im Umfeld der Medien- und Kultur¬wissenschaften in vielfältigen Publikationen konstatiert. Die Gegenwartsdiagnosen, die hier aus der Perspektive einer Beschleunigung bzw. einer Entschleunigung gestellt werden, entfalten ihren Horizont unter der Affirmation der Unmittelbarkeit einer ununterbrochenen Gegenwart. Es wird nach der Zeitlichkeit in digitalen Kulturen, nach einer allgegenwärtigen und iterativ erzeugten Gegenwart gefragt, so von Wolfgang Hagen (vgl. Hagen 2003). Gegenwart wird zu einem komplexen Konglomerat aus ineinandergreifenden funktionalen Zuständen menschlicher und technischer Akteure. Die Technologien der Synchronisation lassen Gegenwart schrumpfen, sich ausdehnen (verbreitern), beschleunigen oder entschleunigen – zu finden bei dem großen Geschwindigkeitstheoretiker Paul Virilio (vgl. Virilio 1993, 2008a,b), bei Hartmut Rosa (vgl. Rosa 2005), Douglas Rushkoff (vgl. Rushkoff 2014). Hans Ulrich Gumbrecht stellt für die Gegenwart die Form der Oszillation als konstitutiv zur Debatte (vgl. Gumbrecht 2010). Der Informatiker und Kulturjournalist David Gelernter bestimmt mit seinem Konzept der ´Nowness` die Internetkultur als eine ´Kultur der Jetzigkeit`, wobei das ´Jetzt` alle anderen Topoi von Zeit ausblendet (vgl. Gelernter 2010). Schumacher erklärt die Focussierung auf die Gegenwart mit der Digitalisierung und benennt die Gegenwart als die dominante Zeitform, welche in den kritischen Diskursen als „Schnittstelle zwischen Präsens und Präsenz“ (Schumacher 2018, S. 1) zu setzen ist. Sarah Sharma untersucht eine Biopolitik der Zeitlichkeit und fragt „What shall we do now with our entangled time?“ (Sharma, 2014, S. 150).
Der Computer, zunächst als ein Speichermedium betrachtet, wird erst durch seine Vernetzung zum Verteilermedium. Als Speichermedium macht er Vergangenes, so wie andere Medien auch, verfügbar und entwirft doch in seiner Fähigkeit zur Distribution ein neues Bild von Vergangenheit:

„Verschieden entfernte Vergangenheiten [können] gleichzeitig aufgerufen werden. […] Alles, was einmal gespeichert und nicht mehr aktuell ist, hat sich gleichweit entfernt. Es wird also nicht nur die Vergangenheit zur Folie der Gegenwart, son¬dern umgekehrt kann auch die Gegenwart zur Folie einer Vergangenheit werden, die aus dem archivierten Material laufend auswählt und im Extremfall sogar neu erzeugt wird.“ (Heidenreich 2004, S. 116f).

Ein Beispiel dafür findet sich in der Handhabung einer Suchmaschinen (z.B. Google) im Internet. Welche Zeit wird erzeugt? Wir meinen, es ist eine Vergangenheits-Gegenwart, welche sich in vermeintlicher Gleichzeitigkeit auflöst. Der Nutzer realisiert in der Zeit, in der er die Suchanfrage stellt, sofort, quasi gleichzeitg, die gelieferten Antworten. Er befindet sich in einer vermeintlichen Gleichzeitigkeit mit dem Netz. Das Abrufen von in der Vergangenheit erzeugten Informationen, wird für ihn zur Gegenwart, einer in viele Vergangenheiten ausgedehnten Gegenwart. Verändert er Einträge im Netz (z.B. bei Wikipedia), so erzeugt er Zukunft, eine bereits schon vergangene Zu¬kunft für den nächsten Klick in der Suchmaschine.
Ist diese Distribution in die Modalzeiten für diese Art des Handels im Netz überhaupt zulässig? Es steht die Frage: wie soll bezeichnet werden? Die Begriffe werden aus dem Reservoir vorhandener Begriffe und ihren Bedeutungszuweisungen gebildet. Metaphern schaffen Bildlichkeit. Bilder erzeugen Erinnerung. Erinnerungen gehen ihrer Zeit voraus, indem sie sich dem Vergessen entziehen und das Vergangene in die Gegenwart holen, um ihm eine Zukunft zu geben, die bei ihrem Erscheinen bereits vergangen ist.

2.3. Technische Korrelate
Das technische Korrelat der Zeiterzeugung im Internet ist der Netzknoten. Der Netzknoten ist der Ort, an dem entschieden wird, wohin das Datenpaket weitergeleitet wird. Der Weg wird festgelegt und dazu wird das Paket auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Diese Entscheidungen verbrauchen Zeit. Und diese Zeit, die verbraucht wird, macht aus dem Fließen ein Sprudeln. Ein ständiges Stocken und Fließen. Diese Zeit ist, im Netz erzeugt, als Vergangenheit zu bezeichnen, eine allgegenwärtige Vergangenheit, eine gleichzeitige Vergangenheit im Netz. Herausgefordert von einer widersprüchlichen Einheit der Gegenwart, die nicht so ist, wie sie erscheint und nicht so erscheint, wie sie ist. Eben eine Vergangenheits-Gegenwart, welche sich in der Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeiten aufbraucht und als Augenblick an Bedeutung verliert. Denn wie sollen die Augenblicke der Informationen unterschieden werden?

„Informationen [sind] im Sinne der Nachrichtentechnik eine Menge an Unter¬scheidungen, gemessen in Bits. In einem qualitativen und inhaltlichen Sinn ein Unterschied, der an anderer Stelle einen weiteren Unterschied, eine Entscheidung oder eine Handlung auslöst.“ (Heidenreich 2004, S. 221).

Distributionen werden durch den Informationsfluss ausgelöst und bringen Entscheidungen oder Handlungen hervor. Diese verbrauchen Zeit. Eine Zeit, welche die Vergangenheit der Erzeugung der Information in die Gegenwart ihres Auftauchens zieht, wo sie bereits wieder vergangen ist. Ihr Auftauchen wirkt doch nur auf unsere Aufmerksamkeit, indem Zeit vergeht, sichtbar auf der Uhr, unsichtbar auf der technischen Ebene im Versand der Datenpakete und erlebbar in den Zeichen von Zeichen von Zeichen.
In seiner Analyse der Zeitlichkeit im Netz verweist Sprenger auf die Tatsache, dass am Netzknoten lediglich ein „Bild der Vergangenheit“ geliefert werden kann, da „die Information über die Übertragungsdauern in dem Moment veraltet ist, in dem sie am Knoten ankommt“. (Sprenger 2015, S. 100).

„Das Netz verfügt weder über Wissen noch über Kontrolle über seinen Ist-Zustand, sondern nur über jeweilige Vergangenheiten, aus denen eine optimale Verteilung der Pakete für die Zukunft extrapoliert wird: In einem Prozess der Synchronisation, der zeitkritisch verschiedene Temporalitäten auf einen Nenner bringt, ohne jemals Echtzeit oder Gleichzeitigkeit erreichen zu können. Syn¬chronisation ist die Abstimmung mehrerer Zeitebenen und der Versuch technische Ordnungen in Einklang zu bringen, um mit Differenzen zu operieren.“ (ebd.).

Ihre Codes sind die Möglichkeitsbedingungen, unter denen Zeit implementiert wird: „Die Codierung von Zeit als Information.“ (Ernst 2007, S. 179) . Der Akt der Unterbrechung dient einer Ordnung der Information, indem die einzelnen Pakete, in welche die Information zerlegt wird, in beliebiger Reihenfolge ihren jeweils eigenen Weg durch das Netz nehmen. Die dazu nötigen Mikroentscheidungen haben selbst Orte im Netz und gehorchen einer eigenen Zeitlichkeit (vgl. Sprenger 2015, S. 108) .
An dieser Stelle soll zur Verdeutlichung ein Schlaglicht auf die digitale Codierung geworfen werden:

„Die digitale Codierung […] verändert den Zusammenhang von Technik, Pro¬duktion und Zugriff auf Daten. Sie bringt andere Speicherfunktionen und damit andere Modi von Wiederholbarkeit mit sich. Sie fügt der Information als Unterschied, der anderswo einen Unterschied auslöst, mit den Möglichkeiten der Interaktion einen ganz wesentlichen Aspekt
hinzu.“ (Heidenreich 2004, S. 131).

Denn im gleichen Zeitintervall kann das Zeichen schon veränderte Bedeutungshoheiten entfalten, eben weil es nicht in der Maschine festgeschrieben ist, sondern in Selbstorganisation eigene Varianten anstrebt, entsprechend der Verfasstheit des ins Netz eintretenden Nutzers mit seiner Emotionalität, Intentionalität und Möglichkeit werden Bedeutungsaspekte, Zuweisungs- und Wertekonstellationen im Netz durch die eigenständige (Mit)Arbeit des Systems verändernd einbezogen, und im Vorfeld bereits verändert vorgefunden. Die Orientierung ist dann eher eigenbezogen, das heißt selbstreferentiell. Das Netz wird dann jedem seine Antwort geben, seine Verbindung herstellen. In diesem Zusammenhang ist vor der Logik des Big Data, nach der ein Mehr an Daten immer von Vorteil sei, zu warnen und eine ´semantische Diskontinuität` zwischen verschiedenen Systemen zu fordern, um Zugriff auf verschiedene Datensysteme erhalten zu können (vgl Cohen, 2012). Es ist kritisch zu fragen: Hindert nicht der Übergang in die Einlassung auf eine explosive Wirkmächtigkeit des Internet und in ein limitierendes Wechselspiel von apparativer Konstruktion und menschlicher Systemrelevanz die freie Entfaltung der Kompetenz des Nutzers?

Literatur
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Virilio, Paul. 2008b. Warum ist nicht alles schon verschwunden? Berlin.

Im digitalen Ge-stell – Vortrag Flensburg 2017

Anknüpfend an das Denken Martin Heideggers (1889-1976) über die Technik als Mittel zu Zwecken, als eine Weise des ´Entbergens und Her-vor-bringens`, soll hier die Universalität des Heideggerschen Ge-Stells als Folie dienen, um die digitale Verknüpfbarkeit der Dinge, der Menschen und Zustände im Netz zu untersuchen. Dabei spielt neben der Bestimmung seines Begriffs des Ge-Stells die Handlungsebene eine besondere Rolle. Der Titel dieses Vortrages geht auf einen Artikel vom 18.10. 2014 aus der Neuen Züricher Zeitung von Eduard Käser zurück. (Vgl. Kaeser 2014).
Die Technik in ihrer Ausprägung, die Datenbanken in ihrer sich ständig reproduzierenden Fülle, der Mensch als Nutzer hineinverwoben in das Gewebe des Netzes, konzipieren das multifaktorielle Internet in seinen n-Dimensionen. ´Maschine – machen`, das ist nach Deleuze betrachtet, das Internet, eine Zeit-Maschine, eine Wunsch-Maschine. Die Vernetzung der Dinge schafft neue Handlungsperspektiven für die Menschen. Die Dinge werden selbst zu Akteuren, indem sie eine Handlungsmacht erhalten. Handlungszuordnungen zwischen Menschen und Dingen verschieben sich. Wir stellen folgende These auf: Zeit ist auf den Aspekt des Internet bezogen, die eigentliche Größe, um alle Komponenten, die die Maschine Internet ausmachen, zu verbinden. Wir sind überzeugt, dass der Raum hinter der Zeit in seiner Bedeutungshoheit zurücktritt.

1. Grundlegungen
1.1. Das Ge-Stell
Mit dem Ge-stell wird Heideggers Auslegung der Technik fundiert, dargelegt in vier Vorträgen in Bremen 1949 bzw. 1950. Übertitelt sind diese Vorträge mit „Das Ding, Das Ge-stell, Die Gefahr, Die Kehre“. Für Heidegger ist „die Technik […] in ihrem Wesen überhaupt kein Wirkliches neben anderem Wirklichen. Sie ist der verborgene Grundzug der Wirklichkeit alles jetzt Wirklichen. Der Grundzug der Wirklichkeit ist die Anwesenheit.“ (Heidegger 2005, S. 62). Das Anwesende ist für ihn die Weise des Wirkens von Wirklichkeit. Damit begründet Heidegger seine Denkfigur des Ge-Stells. Stellen verwendet er im Sinne von ´her-stellen`, zur Verfügung stellen, bestellen und ´gestellt werden`, im Sinne von heraus-fordern, anfordern. (Vgl. Heidegger 2005, S. 26-29). „Ein Stellen fordert das andere heraus, befällt es mit Gestellung.“ (Heidegger 2005, S. 28). Er fragt nun: „Worauf läuft aber die Verkettung des Bestellens zuletzt hinaus?“ (Heidegger 2005, S. 28). Und er beantwortet diese Frage mit dem Bestand. Der Bestand besteht bei ihm im Bestellen von Bestellbaren. Heidegger formuliert so: „Das Bestellen stellt. Es fordert heraus. Das Bestellen geht jedoch, wenn wir es in seinem Wesen bedenken und nicht nach seinen möglichen Wirkungen, keinesfalls auf Beute und Gewinn, sondern immer auf Bestellbares.“ (Heidegger 2005, S. 29). Das Geschick der Menschen ist in das Bestellen einbezogen. Das Bestellen ist das Geschick der Menschen, da sie sich zu etwas verhalten. Der Mensch gehört zum Vollzug des Bestellens. (Vgl. Heidegger 2005). Bestellen betrifft alles Anwesende hinsichtlich seiner Anwesenheit. Das Anwesende ist der Bestand. „Das Bestellen ist in sich universal, denn es versammelt in sich alle möglichen Arten des Stellens und alle Weisen ihrer Verkettung.“ (Heidegger 2005, S. 32).
Damit ist das Bestellen unbegrenzbar. In diesem Sinne wird das Ge-stell selbst unbegrenzbar, denn es beinhaltet alle Möglichkeiten des Stellens. Und so zieht das Ge-stell in einem ´Kreisgang` alles Bestellbare in das Bestellen und in die Bestellbarkeit ein. Heidegger sagt: „Ge-Stell nennt das aus sich gesammelte universale Bestellen der vollständigen Bestellbarkeit des Anwesenden im Ganzen.“ (ibid.). Die treibende „Zirkulation des Bestellens“ (Heidegger 2005, S. 34) des Bestellbaren hat für Heidegger einen ´raffenden`Charakter (vgl. Heidegger 2005, S. 33) und zeigt letztlich seine Skepsis gegenüber der Technik. In seinen Vorträgen verweist er immer wieder auf die Gefahr des Technischen und dessen Stellung zur Natur: „Das Ge-Stell west als die Gefahr. […] Wenn das Wesen der Technik, das Ge-Stell als die Gefahr im Seyn das Seyn selbst ist, dann läßt sich die Technik niemals durch ein bloß auf sich gestelltes menschliches Tun meistern, weder positiv noch negativ.“ (Heidegger 2005, S. 68f). Schließlich schreibt er: „Aber wir hören noch nicht, wir, denen unter der Herrschaft der Technik Hören und Sehen durch Funk und Film vergeht.“ (Heidegger 2005, S. 77).
Die Herausforderung im Ge-stell ist für ihn das Stellen im Sinne von her- und darstellen: „Was wir so als das Gestell denken, ist das Wesen der Technik“. (Heidegger 2005, S. 33). Die Maschine ist für ihn das, was sie ist, aus dem Wesen der Technik, und nicht umgekehrt, denn die Maschine ist nicht allein als etwas Technisches zu erklären. „Das Wesen der Technik selbst ist nichts Technisches.“ (Heidegger 2005, S. 34). Das erklärt er folgendermaßen: „Das Wesen der modernen Technik, das Ge-Stell, begann mit dem wesensmäßigen Grundakt des Bestellens, insofern es zuerst die Natur als den Grundbestand im vorhinein sicher stellte.“ (Heidegger 2005, S. 43). Damit ist „das Ge-Stell in seinem Stellen universal“ (Heidegger 2005, S. 44).
Diese von Heidegger formulierte Universalität des Ge-Stells kann mühelos auf die Digitalisierung unserer Welt, in der digitalen Verknüpfbarkeit der Dinge, der Menschen und Zustände im Netz gewendet werden. Der Wirklichkeit eingeschrieben ist die digitale Durchdringung von allem mit allem. Wenn wir also vom digitalen Ge-stell sprechen, so meint das nichts anderes, als die Einschreibung der digitalen Bestandsdinge, das sind die Datenbestände, in das alltägliche Leben der Menschen. Es meint das Versammeln aller möglichen Arten des Stellens dieser Datenbestände ins Netz und alle Weisen ihrer Verkettungen durch Codes, Protokolle und Algorithmen. Es meint letztlich die Verzahnung von Technizität und Sozialität im Netz.

1.2. Die Dinge bei Heidegger
In Heideggers Krug-Metapher besteht das Dinghafte des Dinges in der Leere. (Vgl. Heidegger 2005, S. 8). Es beruht für ihn „weder darin, daß ein Ding zum Gegenstand eines Vorstellens wird, noch lässt sich überhaupt das Dinghafte eines Dinges von der Gegenständlichkeit des Gegenstandes aus bestimmen.“ (Heidegger 2005, S. 5). Das In-der-Welt-Sein wird so zum Strukturmoment der ´Welt`, und das Seiende ist das, was sich in der Welt zeigt. (Vgl. Heidegger 2006, S. 63) „Das Seiende innerhalb der Welt sind die Dinge […].“ (Heidegger 2006, S. 63).
Das Wort Ding leitet sich aus dem althochdeutschen Sprachgebrauch ´thing` her ´versammeln` im Sinne von ´Versammlung, Gericht, gemeinsame Streitsache`; im Griechischen bezeichnet es den´besorgenden Umgang´. Heidegger sagt: „Das Ding dingt Welt. […] Dingen ist Nähern von Welt“. (Heidegger 2005, S. 20). Und: „Wird die nähernde Nähe verwehrt, dann bleibt das Ding als Ding vorenthalten.“ (Heidegger 2005, S. 46).
Das bedeutet, dass das Ding nicht einfach da ist, es steht im menschlichen Handlungsvollzug, es ist zuhanden. In der ´Zuhandenheit` wird der praktische Umgang des menschlichen Daseins mit den Dingen aufgezeigt. Damit sind sie nicht um ihrer selbst willen da, sondern verweisen auf Anderes, um Anderes zu erreichen. Mercedes Bunz (*1971) formuliert das so: „Da das Ding selbstversorgend und selbständig ist, tut es etwas. Indem es in der Welt und/oder im Gebrauch ist, versammelt und vereint es diverse Aspekte, die in und an ihm verweilen.“ (Bunz 2015, S. 171). „Wir nennen das im Besorgen begegnende Seiende das Zeug,“ so Heidegger (Heidegger 2006, S. 68). Die ´Zeugganzheit` trägt die Einheit von Sein und Zeug. Es ist die Struktur des ´Um-zu`, die eine Zugehörigkeit ausdrückt (Zeug zu) und sich „im herzustellenden Werk als das Wozu“, (Heidegger 2006, S. 70) offenbart, als ein „Verwenden von etwas für etwas“ (ibid.).
Heidegger öffnet uns damit den Blick auf das digitale Ge-Stell: die Dinge stehen nicht für sich allein. Sie sind kein Gegenstand des Vorstellens. Damit grenzt er sich von Kant ab, der das Vorstellen im Selbstbewusstsein des menschlichen Ich verankert und vom ´Ding an sich` spricht:

„Das Ding an sich bedeutet für Kant: der Gegenstand an sich. Der Charakter des ´Ansich` besagt für Kant, daß der Gegenstand an sich Gegenstand ist ohne die Beziehung auf das menschliche Vorstellen, d.h. ohne das ´Gegen`, wodurch er für dieses Vorstellen allererst steht.“ (Heidegger 2005, S. 16).

Dieses Postulat auf das digitale Ge-Stell gewendet, bedeutet nichts anderes als, dass die Dinge im Netz in einer Virtualität verweilen, aus der sie hervortreten in die Welt und einen Gebrauchszusammenhang eingehen. Damit werden die Dinge zum Zeug. In diesem Kontext sei auf das Ubiquitous Computing verwiesen. Die technische Optimierung von Computern und ihre Zusammenarbeit sind notwendige Bedingungen der Ubicomp-Entwicklung. Die Gestaltung von Interaktionen von Computer zu Computer soll ubiquitär und nahtlos in die Alltagswelt integriert sein. (Vgl. Alpsancar 2012, S. 240f). Wird ihnen das ´verweigert`, gewendet auf Heidegger, „bleibt Welt als Welt verweigert“ denn „dingend nähert das Ding Welt und verweilt Welt“ (Heidegger 2005, S. 47). Hier öffnet Heigegger die Sicht auf die Konstellation von Realität/Virtualität im Welt-Werden durch die digitale Vernetzung.
Als Dinge sind auch die Mittel zu bezeichnen, durch welche sie hervorgebracht werden. Die Technik schafft Dinge (Werkzeuge, Maschinen, raum- und zeit- übergreifende Energien), welche die Weise der Aneignung der Welt durch Dinge beeinflusst. Ontologisch gesehen ist ein Ding ein auf den Menschen bezogenes Konstrukt, das sein Dasein im Handeln bestimmt. Der Handlungsvollzug offenbart sich nach Heidegger im Zusammenspiel zwischen Da-sein und Zeitlichkeit (Vgl. u.a. Heidegger 2006, §45), das uns wiederum zur Ontologie der Dinge führt. Heidegger interessierte sich für das ´Zwischen` bei Mensch und Ding.

1.3. Dinghafte Zustände
Diese kurze Skizze des Heideggerischen Ge-Stells soll hinführen zum Netz als ein einzigartiges Geflecht von zu Bestellendem und Bestellbaren. Das Netz in seiner multifaktoriellen Ausprägung ist ein richtungsgebundenes Beispiel für Heideggers Technikanschauung. Er beschreibt nicht die Phänomenologie der Technik, er greift auf ihr Wesen zurück und überträgt das Bestellen in ein Handeln, das sich selbst überhöht, weil es eingebunden ist in dinghafte Zustände, welche wiederum nur durch das Dingen in Erscheinung treten können, wenn sie in den Kreislauf von Handeln und Handeln-können eingebettet werden.
Damit sind wir im digitalen Ge-Stell. Die Dinge erhalten ihre Bestimmung durch das Bestellen und durch ihre Bestellbarkeit. Gemeint sind hier nicht Waren, die im wörtlichen Sinne digital bestellt werden, weil sie bestellbar sind, sondern gemeint sind die Handlungsvollzüge im Hervorbringen eines Dinges, weil es im digitalen Ge-Stell zu einem Ding, zu ´etwas zu`, wird. Der sich darbietende Schluss ist, dass das Netz als digitales Ge-Stell, eben genau diese Eigenschaften den Dingen aufprägt, die wir in der Differenz von virtuell und real an ihnen wahrnehmen.
Die Realität des Dings wird virtualisiert in einer Signatur, um dann wieder real als Ding in Erscheinung zu treten. Der Raum spielt in diesem Prozess insofern eine Rolle, da er überwunden werden muss. Die Zeit hingegen ist gleichzeitig: es ist weder für den virtuellen Zustand des Dinges noch für den realen Zustand von Bedeutung, auf welchem sichtbaren Anschauungsort es sich befindet. Das Ding ist gleichzeitig real und virtuell. Die Brücke ist das Zeichen. Es verbindet die beiden Welten und wird so auch zum Ding, zum ´Zeug zu`. Dieses ´Zeug zu` ist als temporal bestimmt zu betrachten und ein wichtiger Aspekt, welcher die wachsende Digitalisierung und die Aktivitäten im Netz zu dem werden lässt, als das sie für uns in Erscheinung treten.
Die Dinge erscheinen uns als wandelbare Seinszustände von Ideen und Vorstellungen. Die Weltlichkeit der Dinge wird abgeschnitten von ihrem Ursprung und geht ein in eine reale Virtualität. Diesen Modus hat Heidegger grundgesetzt in seinem Begriff des Ge-Stells. Damit ist für uns der Begriff des Ge-Stells hinweisend auf die Verkettungen und Verflechtungsverhältnissen im Netz, welche es zu einer Maschine machen, die unaufhörlich in einer treibenden Zirkulationen Zustände hervorbringt, die nach Heidegger dinghaft sind und ihrem Wesen nach weder rein real noch einzig virtuell sind.
„Doch ein Ding, so betont Heidegger, ist auch da, wenn es nicht vor uns steht. Es ist materiell, aber es kann auch gedacht werden. Der Aspekt der die Dingheit am eindrücklichsten beschreibt, ist damit die Unabhängigkeit des Dings.“ (Bunz, 2015, S. 171). Bunz bezieht sich in ihrem Artikel Die Dinge tragen keine Schuld (2015) ausdrücklich auf Heideggers Dingbegriff und verweist darauf, dass Heidegger durchaus im Zusammenhang mit den heutigen Dingen im Internet zu lesen ist.

2. Das Ding im digitalen Ge-Stell
2.1. Die verknüpften Dinge
Für die Untersuchung der ´Dinge` im Netz erscheinen uns Heideggers Einsichten vom „Ding und seinem Dingen, dem Ge-Stell und seinem Stellen, dem Bestand und seinen Bestandstücken“ (Heidegger 2005, S. 45) als sehr geeignet, um die Dinge im Netz in ihrer welterzeugenden Zuhandenheit im Gebrauch zu betrachten. Die Dinge sind im Internet der Dinge nicht mehr Dinge, die be-greifbar sind, mit einer Oberfläche versehen, sondern sie sind vielmehr Tätigkeiten, die Gegenstand der menschlichen Aufmerksamkeit, eine neue, eine andere Form von Da-Sein erzeugen. Die Dinge sind transformiert in ihrem Da-Sein, und die Verknüpfung erzielt eine andere strukturelle Form des Daseins der Dinge und damit auch eine tiefgreifende Transformation des menschlichen Seins. Diese Wechselwirkung temporal zu fassen, halten wir für eine bestimmende Möglichkeit, das Internet der Dinge zu beschreiben.

2.2. Das Internet der Dinge (Internet of Things – IoT)
Der Begriff ´Internet der Dinge` (Internet of Things) geht auf den Titel einer Präsentation des britischen Unternehmers Kevin Ashton (*1968) 1999 zurück und wurde nach Ashtons Angaben von ihm geprägt. (Vgl. Sprenger 2015a, S. 7). Die Nutzer werden zu Datengeneratoren. Aus dem Verkauf der vom Nutzer gelieferten Daten rekrutiert ein kostenloser Service, der wiederum die Nutzer an die Bereitssteller des Services bindet: die Big Five: Google, Facebook, Amazon, Microsoft, Apple. Alltagsgegenstände wie Waschmaschine, Kühlschrank, Autos, Schuhe, Kleidung werden an das Internet angeschlossen und werden so zu interaktiven, intelligenten (smarten) Gegenständen, die sich online und autark durch Informationsaustausch wechselseitig steuern und Aktionen auslösen. Sensoren und Datenquellen sind miteinander integiert. (Vgl. Bullinger/Hompel 2007, Engemann/Sprenger 2015, Fleisch/Mattern 2005, Mattern 2003, 2010, Mattern/Flörkemeier 2010).
Mark Weiser (1952-1999) entwirft Anfang der neunziger Jahre eine neue Vision für den Gebrauch von Computern. Er nennt es Ubiquitous Computing. In seinem Artikel The computer for the 21st century (1999) fragt er: Wie soll der Computer der Zukunft sein? und fordert ein Zurücktreten des Computers aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit des Menschen. Das Nutzungsverhältnis des Menschen zum Computer soll sich radikal verändern. Weiser legt „eine Wunschvision des idealen Computers der Zukunft“ (Alpsancar 2012, S. 89) vor; bestehende Computer sollen in Ubicomputer verwandelt werden. Damit stellt Suzana Alpsancar die Frage, wie Computer für das Ubiquitous Computing beschaffen sein sollen und für den Alltag nutzbar gemacht werden können.
Ubiquitous Computing lässt sich wörtlich mit ´Allgegenwärtige Datenverarbeitung` übersetzen. Die Forschung zeigt keinen einheitlichen Sprachgebrauch. IBM bezeichnet es als ´Pervasiving Computing` (durchdringendes, beherrschendes Datenverarbeiten). Friedemann Mattern (*1955) spricht von ´Informatisierung des Alltags` (Vgl. Mattern 2007) und Peter Gendolla (*1950) von ´Allgegenwärtigem Rechnen` (Vgl. Gendolla 2006). Weisers zentrales Motiv des Ubicomp ist das des Networks:

„The most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until they are indistinguishable from it.“ (Weiser 1999, S. 3).

Daraus resultiert die Vorstellung eines nahtlosen Ineinander von virtueller Computerwelt und realer Welt in die Alltagswelten des Menschen. Weiser zeichnet „das Ideal eines stillen, unsichtbaren und damit guten Technikgebrauchs. […] Ubiquität und Nahtlosigkeit kennzeichnen demzufolge Infrastrukturen, die den erwünschten Gebrauchsmodus des Ubicomp herbeiführen.“ (Alpsancar 2012, S. 213).
Dabei bezieht sich die Unsichtbarkeit auf den Verwendungszusammenhang: die Dinge sollen benutzt werden, ohne dass ihnen Aufmerksamkeit zuteil werden muss. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch Luhmanns Perspektive auf die Technik: „Die Beobachtung funktionierender Technik ist eine wichtige Quelle für Ideen, was und wie man etwas anders machen könnte.“ (Luhmann 1997, S. 531). Darauf scheint sich auch Weisers Argumentationslinie zu beziehen. Seine Vision des Ubiquitous Computing resultiert aus dem Wunsch, eine virtuelle Realität in die sich wiederholenden Vorgänge der menschlichen Alltagswelt zu implementieren, die nicht in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Somit sieht er den Menschen frei in seiner Entfaltung. Alpsancar merkt dazu kritisch an, dass dieses Ideal wohl kaum durchsetzbar sei. Denn die Computer als „stille, universale Werkzeuge [können] nicht nur für jeden beliebigen Zweck das geeignete Mittel darstellen, sondern [sie müssten auch] dem Nutzer strenggenommen von sich aus (proaktiv) jeden Wunsch automatisch erfüllen.“ (Alpsancar 2012, S. 271). Wie weit sich die Technik in dieser Hinsicht entwickeln wird und der Mensch bereit ist, sie in dieser Weise zu nutzen, bleibt offen.
Die Begriffe ´Internet der Dinge` und ´Ubiquitous Computing` werden in der Literatur häufig synonym gebraucht. Trotz aller Ähnlichkeiten weisen sie jedoch Unterschiede auf. Das Internet der Dinge steht für den globalen Anschluss der Dinge an ein globales Netz. Das Ubiquitous Computing kann sich auch auf ein lokales Netzwerk beschränken (z.B. Büroumgebungen, häusliches Wohnen). In der technischen Entwicklung und im Gebrauch der Technik werden sich diese Unterschiede in der Zukunft verwischen.(Vgl. Sprenger/Engemann 2015, S. 10). Die Technologie dafür ist – wie Florian Sprenger und Christoph Engemann in ihrem Buch Internet der Dinge (2015) hervorheben ¬ „unsichtbar, smart, miniaturisiert, räumlich verteilt und allgegenwärtig“ (Sprenger/Engemann 2015, S. 7). Jedes Ding wird mittels eines RFID (radio-frequency identification)-Tags adressierbar sein. Adressierbarkeit und Vernetztheit sind die unabdingbarenVoraussetzungen für das Internet der Dinge:

„Dinge werden zu Akteuren, wenn sie im Zuge dieser Neuverteilung von Handlungsmacht, beginnen, selbständig zu agieren, indem sie nicht nur Daten sammeln, sondern auf ihrer Grundlage zukünftige Ereignisse berechnen oder gar Entscheidungen treffen, die zu diesen Ereignissen führen oder sie verhindern sollen.“ (Sprenger/Engemann 2015, S. 8).

Das IoT produziert riesige Datenmengen, welche in Echtzeit herauszufiltern und zu erkennen sind. „Die ´richtigen `Daten zur ´richtigen` Zeit im ´richtigen` Umfang am ´richtigen` Ort“ (Ferscha 2007, S. 6) sind bereit zu stellen. Das erfordert nach Ferscha eine hohe Kontextmodellierung bei einer vorliegenden Kontextdissemination aufgrund der Dislozierung der Sensoren und Aktuatoren. Die klassische Technologie, Tastatur und Bildschirm, verschwindet zugunsten von Sensoren und Aktuatoren, mobilen Systemen und smarten Objekten. (Vgl. Ferscha 2007, S. 6-8). Die unsichtbaren, allgegenwärtigen Computersysteme erfassen dank ihrer kommunizierenden Sensoren die Umwelt und können selbst Aktionen ausführen. Das führt zu einer ubiquitär vernetzten Lebenswelt. (Vgl. Adamowsky 2015, S. 128). Durch die Bereitstellung einer „ubiquitären Umgebungsintelligenz“ (Ferscha 2007, S. 4) wird eine umfassende Kontextualisierung erreicht. Die Situation eines vernetzten Dings kann entsprechend dem Programm vollständig charakterisiert werden. Das bezeichnet das pervasive Computing. Die Smartness, das intelligente unsichtbare Handeln vernetzter Dinge, verschafft dem Menschen die Möglichkeit, in jeder Situation seines Alltags seinen Handlungs- und Daseinsspielraum zu erweitern, indem die Gebrauchsgegenstände auf seine Absichten, Gewohnheiten und Emotionen reagieren. Die Einbettung der smarten Dinge in den menschlichen Körper – elektronische Prothesen mit Bluetooth-Schnittstellen, zur Steuerung vernetzter Herzschrittmacher, sind bereits möglich und im Gebrauch.
Dezentrale und heterarchische Planungs- und Steuerungsprozesse versetzen die Dinge in die Lage, mit anderen Systemen zu kommunizieren. Es sind sogenannte Echtzeitsysteme. „Was früher Zeit brauchte, wird heute in Echtzeit übertragen“ (Vgl. Mattern 2003, S. IX), hebt Friedemann Mattern (*1955) hervor; Alois Ferscha (*1962) betont, daß die Systeme sich auf zukünftige Situationen einstellen können: „die Systemkontrolle basiert […] nicht auf [dem] zuletzt identifizierten Kontextzustand (reaktiv), sondern auf einen in der Zukunft liegenden, aber bereits jetzt absehbaren Kontextzustand (proaktiv).“ (Ferscha 2007, S. 7) Es wird zu diskutieren sein, inwiefern der temporale Aspekt des IoT, der auf eine Gleichzeitigkeit abzielt, durch Ungleichheiten und damit Ungleichzeitigkeiten in den kulturellen und sozialen Möglichkeiten der Vernetzung limitiert wird.

2.3. Vernetztheit und Addressierbarkeit
Sprenger und Engemann betonen: „Die Welt des Internets der Dinge impliziert eine Ontologie, in der es nur das gibt, was vernetzt ist“ (Spenger/Engemann 2015, S. 10) und eine Adresse hat. Das Internet der Dinge ist als ein wirklich eingreifendes, Werte neu fassendes Konstrukt aus Rechnerleistung, Energie-und Informationsströmen und menschlicher Weise, die Welt zu verändern, zu betrachten. Die Dinghaftigkeit des Dings, so wie sie Heidegger beschreibt, wird durch die Vernetztheit eine andere. Die Vernetzung zwingt dem Ding eine andere Zuhandenheit auf, als es, ohne vernetzt zu sein, aufweisen würde. Die Zuhandenheit als Zeug im Heideggerschen Sinn entfernt sich seiner Zuweisung und entwickelt dafür eine Zuhandenheit des Gebrauchs, der jetzt kontinuierlich das Ding in ein Stellen weist, das sich so stellt, dass es ein Ding einer anderen Generation wird, das Ding dingt im Gebrauch; der Gebrauch ist durch die Vernetzung so festgelegt, dass er der Wechselbestimmung: Gebrauch als Akteur und Empfänger zugleich, gerecht wird.
Dieses Zugleich, im medialen Sinn, impliziert eine temporale Seite wie sie bei Heidegger in seinem damaligen Technikverständnis- und Erleben so nicht bestimmt werden konnte. Das vernetzte Ding erfährt eine Ausrichtung auf andere Dinge, die es selbst mit bestimmt und es in seiner Bestimmung verändert. Diese Abhängigkeit des Dings von anderen Dingen, mit denen es vernetzt ist, transformiert seine eigentliche Dingheit in eine Vielheit. Diese Vielheit ist im Sein des Menschen im Da gegeben, denn der alltägliche Umgang des Menschen mit Dingen ordnet nach Heidegger sein Sein.
In der Betrachtung des Internet der Dinge ist die Vielheit des Dings durch seine eigene Vervielfältigung im Gebrauch durch die Vernetztheit gesetzt. Es ist also nichts anderes passiert, als das im Alltag gegebene Spiel der Dinge miteinander, jetzt in der Vernetztheit, eine Vielheit darbieten, die sich der Alltagsbeschäftigung einschreibt. Nicht mehr das Spiel der Dinge im alltäglichen Leben des Menschen, die verschiedenen Möglichkeiten ihres Gebrauchs sind jetzt das Ziel eines handelnden Menschen, sondern das Internet der Dinge handelt neben und mit ihm. Den Handlungsvollzügen ist so ein Vollzug von Rechenleistung und Informationsfluss, welche nicht mehr im Focus der Aufmerksamkeit des Menschen steht, mitgegeben. Der Mensch sieht sich umgeben von Handlungen, die ablaufen, ohne dass er darauf irgendwelche Aufmerksamkeit richten müsste.
Diese Handlungen von Sensoren und Aktoren in den in Dingen eingebetteten Computern, welche nicht in die unmittelbare Wahrnehmung treten, quasi unsichtbar, unbemerkt, auf ihre eigene Weise wirkend, werden als Calm Technology bezeichnet. In seinem Artikel The comming age of calm technologies (1997) präsentiert Weiser seine Vision des idealen Computers im Gebrauch für seine Nutzer. „Calm Technology adressiert sowohl das Zentrum als auch die Peripherie unserer Aufmerksamkeit und oszilliert sogar zwischen den beiden Polen hin und her.“ (Weiser/Brown 2015, S. 64). Peripherie bezeichnet hier, das, worauf – so Weiser – der Mensch „eingestimmt“ [ist], ohne bewußt aufmerksam zu sein“ (ibid.). „Das Platzieren der Dinge an der Peripherie erlaubt [uns], viel mehr gleichzeitig wahrzunehmen, als wir es könnten, wären alle Informationen zentral angeordnet.“ (Weiser/Brown 2015, S. 65].
Die Calm Technology, als „Design, das gleichzeitig entlastet und informiert“ [Weiser/Brown 2015, 64], bezeichnet eben das Verborgene des Handelns der Dinge. Diese Tatsache setzt eine Vernetztheit voraus. Diese Vernetztheit dient auch anderen (verborgenen) Interessen als dem Handeln für den Alltag des Menschen. Die Big Five optimieren ihre Strategie der Erreichbarkeit und Beeinflussbarkeit der Menschen im Konsum. Als Konsum von Waren, aber auch als Konsum vernetzter Kontakte. (Vgl. auch Heisel 2012). Denn nur durch die Vernetztheit ist die Einflussnahme der Big Five festgeschrieben. Ihr Bestreben ist:

„die Nutzer mit unverzichtbaren Services einzukreisen, welche zugleich als unsichtbare Zäune fungieren. Diese Systeme aus Softwareangeboten und Hardware haben sich als ökonomisch äußerst erfolgreich erwiesen und stellen zugleich bislang nicht gekannte Bündelungen von Milliarden von Nutzern und Devices bei wenigen Global Players dar.“ ( Sprenger/Engemann 2015, S. 42).

Die IP-Adressen gehen nach dem Übergang in das IPv6 nicht aus. Die 128 Bit-Adressierung (im Gegensatz zur 32 Bit-Adressierung des IPv4) ermöglicht 340 Sextilionen IP Adressen.(Vgl. Seemann 2015, S. 116). Alles kann adressiert werden und ist damit vernetzbar. „Damit könnte jedem Sandkorn auf der Erde eine IP-Adresse zugewiesen werden“ (ibid.) Das ist die eine Seite. Kontrolle und Beeinflussung des Konsumenten zur Gewinnoptimierung die andere Seite. Die Beobachtung der Menschen über das Internet der Dinge ist ubiquitär. Ihr Verhalten zu den vernetzten Dingen lässt ein persönliches Profil erstellen und kann sie sowohl in ihrem Verhalten als Konsumenten als auch als mögliche Staatsfeinde oder Kriminelle entlarven. (Vgl. Kaufmann 2003, Marciniak 2015).
Wir meinen, das Internet der Dinge ist nicht aufzuhalten, da es technisch machbar ist. Die Konsequenzen werden in ihren rechtlichen und ethischen Ausprägungen zu verhandeln sein. Es ist zu fragen: Welche Handlungsmacht erhalten die Dinge?
Literaturliste

Adamowsky, Natascha. 2015. Vom Internet zum Internet der Dinge. Die neuen Episteme und wir. In: Florian Sprenger; Christoph Engemann (Hg.): Internet der Dinge. Über smarte Objekte, intelligente Umgebungen und die Technische Durchdringung der Welt. Bielefeld, S. 119-135.

Alpsancar, Suzana. 2012. Das Ding namens Computer. Eine kritische Neulektüre von Vilém Fllusser und Mark Weiser. Bielefeld.

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Baudrillard, Jean. 2008. Warum ist nicht alles schon verschwunden? Berlin: Matthes & Seitz.

Bunz, Mercedes. 2015. Die Dinge tragen keine Schuld. Technische Handlungsmacht und das Internet der Dinge. In: Florian Sprenger; Christoph Engemann (Hg.): Internet der Dinge. Über smarte Objekte, intelligente Umgebungen und die technische Durchdringung der Welt. Bielefeld, S. 163-180.

Ferscha, Alois. 2007. Pervasive Computing: connected > aware > smart. In: Friedemann Mattern (Hg.): Die Informatisierung des Alltags: Leben in smarten Umgebungen. Berlin u.a.O., S. 3-10.

Heidegger, Martin. 2005. Bremer und Freiburger Vorträge. In: Martin Heidegger Gesamtausgabe.III. Abt.: Unveröffentlichte Abhandlungen, Bd.79. Frankfurt am Main, S. 3-176.

Heidegger, Martin. 2006. Sein und Zeit, Tübingen.

Heisel, Maritta. (Hg.) 2012. Software Service and Application Engeneering. Essays Dedicated to Bernd Krämer on the 65th Birthday. Berlin u.a.O.

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Kaufmann, Franz-Xaver: Sicherheit: Das Leitbild beherrschbarer Komplexität. In:Stephan Lessenich (Hg.):Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe. Historische und aktuelle Diskurse. Frankfurt am Main, S. 73-104.

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Abstrakt
Anknüpfend an das Denken Heideggers über die Technik als Mittel zu Zwecken, als eine Weise des ´Entbergens und Her-vor-bringens`, soll hier die Universalität des Heideggerschen Ge-Stells als Folie dienen, um die digitalen Verknüpfbarkeit der Dinge, der Menschen und Zustände im Netz zu untersuchen. Dabei spielt neben der Bestimmung seines Begriffs des Ge-Stells die Handlungsebene eine besondere Rolle. Die Technik in ihrer Ausprägung, die Datenbanken in ihrer sich ständig reproduzierenden Fülle, der Mensch als Nutzer, hineinverwoben in das Gewebe des Netzes, konzipieren das multifaktorielle Internet in seinen n-Dimensionen. ´Maschine – machen`, das ist nach Deleuze betrachtet, das Internet, eine Zeit-Maschine, eine Wunsch-Maschine.
Der Wirklichkeit eingeschrieben ist die digitale Durchdringung von allem mit allem. Wenn wir vom digitalen Ge-stell sprechen, so meint das nichts anderes, als die Einschreibung der digitalen Bestandsdinge, das sind die Datenbestände, in das alltägliche Leben der Menschen. Es meint das Versammeln aller möglichen Arten des Stellens dieser Datenbestände ins Netz und alle Weisen ihrer Verkettungen durch Codes, Protokolle und Algorithmen. Es meint letztlich die Verzahnung von Technizität und Sozialität im Netz.
Die Vernetzung der Dinge schafft neue Handlungsperspektiven für die Menschen. Die Dinge werden selbst zu Akteuren, indem sie eine Handlungsmacht erhalten. Handlungszuordnungen zwischen Menschen und Dingen verschieben sich. Die Dinge im Internet der Dinge sind nicht mehr Dinge, die be-greifbar sind, sondern sie sind vielmehr Tätigkeiten, die Gegenstand der menschlichen Aufmerksamkeit, eine neue, eine transformierte Form von Da-Sein erzeugen. Diese Wechselwirkung temporal zu fassen, halten wir für eine bestimmende Möglichkeit, das Internet der Dinge zu beschreiben.

Abstract
Carrying on where Heidegger’s line of thought left off, we use the universality of his Ge-stell concept of the structuring our experience, attitudes, values and manner of engagement with the world (or in one word: enframing); i.e. in analysing the possible digital linkings up with people, things, and status of the internet we apply his tools for a special way of uncovering (entbergen and her-vor-bringen). Additional to the just given definition of the Ge-stell it is of very special interest where actions take place. There are: technology as it is developing, data bases in their abundance which are continuously reproducing themselves, man as a user who is woven into the fabric of the net – they all form the concept of the multifactorial internet with its n dimensions. In the words of Deleuze, the internet is a “making machine”, a time machine as well as a wish machine.
The digital penetration of all with all is inscribed into reality. So speaking of the digital enframing (Ge-stell) we just refer to the inscription of the digital belongings, i.e. the data holdings, into the day-to-day life; that is, the collections of all possible ways of putting these data holdings in the net as well as all manners of concatenation of codes, logs, algorithms.
For human beings the network of things offers new perspectives of action. By coming into power they are the things themselves which are protagonists; the relations between people and things are shifted. The things appearing in the internet cannot be touched by hand but on the contrary they are actions which by transformation create a new existence. The description of these interactions in a temporal manner is regarded as a certain possibility to portray the internet of things.

Angaben zur Person:
Konstantin und Kornelius Keulen
Weinbergstr. 4
14469 Potsdam
E-Mail: kkeulen@uni-potsdam.de
Doktoranden an der Universität Potsdam

Die ´Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` und das Internet; San Sebastian 2016

Gruß an San Sebastian:

Die Stadt mit ihren Räumen ist der Ort. Der Ort wird erschaffen durch die Zeit. Die Zeit prägt den einen Ort, der Stadt mit ihren Räumen ihren Stempel auf. Das Gewebe des Internet legt sich über die Stadt und erzeugt Zeit. Die Gleichzeitigkeit der Gegenwart ist im Netz nicht singulär möglich. Erst die Pluralität der Gleichzeitgkeit, die ´Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` kann die Temporalität der Ereignisse in der Stadt, ihre Gegenwarten vor dem Horizont des Internet fassen. Denn alles ist verwoben, alles ist vernetzt.

Vortrag:

Der Vortrag gliedert sich in folgende Punkte:….

  1. Der Topos der ´Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen`
  2. Ungleichzeitigkeit
  3. Differenz
  4. Netz-Gegenwart
  5. Schöpferisches Werden
  6. Wirklichkeit im Internet
  7. Unterscheiden
  8. Ereignisse induzieren Ungleichheiten

 

Die Pluralität der Gleichzeitigkeit erlaubt, die Phänomene des Wirkens der Zeit durch das Gewebe des Internet zu erklären. Der Wirklichkeitsbegriff ist neu zu definieren. Es gibt die Möglichkeit, Realität als Realitäten, die in unserer Wahrnehmung erzeugt und durch unser Nervensystem erklärt werden, in die bereits vorhandenen Erfahrungen einzubauen. Damit sind wir vertraut. Definieren wir Wirklichkeit als ein Konglomerat aus beobachteten und beobachtbaren Dingen einerseits und andererseits aus virtuell erzeugten Realitäten, so erklärt sich uns der Begriff der vielen Gleichzeitigkeiten. 

  1. Der Topos der ´Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen`

Der von Ernst Bloch (1885-1977) in seiner Faschismusstudie Erbschaft dieser Zeit (1935) in Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus geprägte Topos der ´Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen` soll als Anstoß für eine Analyse der Gleichzeitigkeit aufgenommen werden.

Blochs in den 1930er und 1960er Jahren für die (marxistisch fundierte) Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen vorgelegte Konzeption der Ungleichzeitigkeit markiert das Nebeneinander verschiedener Stufen gesellschaftlicher Entwicklung1. Die allgemeinen Probleme, die mit der Vorstellung von Ungleichzeitigkeit einhergehen, werden eindrucksvoll in den bekanntgewordenen Einleitungsworten des Kapitels zur Ungleichzeitigkeit in Erbschaft dieser Zeit sichtbar:

„Nicht alle sind im selben Jetzt da. Sie sind es nur äußerlich, dadurch, daß sie heute zu sehen sind. Damit aber leben sie noch nicht mit den anderen zugleich. Sie tragen vielmehr Früheres mit, das mischt sich ein. Je nachdem, wo einer leiblich, vor allem klassenhaft steht, hat er seine Zeiten. Ältere Zeiten als die heutigen wirken in älteren Schichten nach; leicht geht oder träumt es sich hier in ältere zurück.“ [Bloch 1962, 104].

Die Wurzel dieser Denkfigur liegt in der Produktion von Gleichzeitigkeit, gebunden an ein normatives Zeitmodell, welches, wie Achim Landwehr betont, in Differenz zu „Aspekte[n] des sozialen politischen, kulturellen oder sonstigen Lebens, die nicht mehr in die Zeit zu passen schienen“ [Landwehr 2012, 21] steht und dadurch in der Form der Ungleichzeitigkeit zutage tritt. Und er fährt fort: Gleichzeitigkeit ist hier an ein „einheitliches und raumübergreifend geltendes Zeitmodell“ [ebd.] gebunden. Ungleichzeitigkeit setzt, so gesehen, eine „gedachte Norm von Gleichzeitigkeit“ [Landwehr 2012, 2] voraus. In diesem Sinne erscheint uns jedoch die Vorstellung der ´Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen` in unserer heutigen komplexen temporalen Situation als nicht adäquat. Eine genormte Gleichzeitigkeit ist in der weltweit medialen Vernetztheit der Welt nicht möglich. Der unterschiedliche Grad der globalen Vernetzung, der unterschiedliche Zugang zum Netz machen eine singuläre Gleichzeitigkeit unmöglich. Helga Nowotny führt dazu aus:

„Zu meinen, dass die mediale Vernetzung zu einer Erhöhung der weltweiten Gleichzeitigkeit führt, und zu vermuten, die Globalisierung lasse Zeiten und Räume zu einer zu vernachlässigenden Größe zusammenschrumpfen, ist naiv. Tatsächlich führen die in manchen Bereichen von Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur obwaltenden Formen der Synchronisation gerade dazu, dass die sozialen und ökonomischen Ungleichheiten und divergierenden Zeiten wachsen.“ [Nowotny 1990, 10f.].

Wenn wir Gleichzeitigkeit im Plural denken, so erschließt sich uns eine Zeitlichkeit, welche, gebunden an Ereignisse, eine Gleichzeitigkeit der Zeiten, also Gleichzeitigkeiten denken lassen, welche in unterschiedlicher Ausdifferenzierung in Erscheinung treten. Bruno Latour spezifiziert:„Denn eine Zeitlichkeit für sich genommen hat nichts Zeitliches. […] Wenn wir das Klassifizierungsprinzip ändern, erhalten wir ausgehend von denselben Ereignissen auch eine andere Zeitlichkeit.“ [Latour 2008, 102].

  1. Ungleichzeitigkeit

Eine geschichtshistorische Einordnung des Topos der ´Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen` findet sich auch bei Reinhart Koselleck (1923-2006), der die problematischen Ursprünge des Ungleichzeitigkeitstheorems im Zusammenhang „unterschiedliche[r] Einstufungen geschichtlicher Abfolgen“ [Koselleck 1989, 123] im Rahmen der natürlichen Chronologie thematisiert. Die Pluralität unterschiedlicher Zeiten in ein und derselben Gegenwart ist für ihn ein Ansatz, den Plural divergenter Zeiten zum Ausdruck zu bringen und als Synonym für ´die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen` den Begriff ´Zeitgeschichten` einzuführen. ´Zeitgeschichten` verweisen bei ihm auf mehrere Zeitebenen verschiedener Dauer, unterschiedlicher Herkunft, die aber gleichzeitig vorhanden und wirksam sind. Die Einführung einer normativen Referenz, an der Gleichzeitiges und Ungleichzeitiges gemessen werden können, erscheint im Hinblick auf eine temporale Einordnung als notwendig gegeben.

Aus unserer Sicht ist es jedoch in Hinblick auf ein Zeitverständnis in der Globalität, welches Gleichzeitigkeit impliziert, ratsam, auf den Begriff der Ungleichzeitigkeit zu verzichten, und dafür Gleichzeitigkeit im Plural zu setzen. Der Topos der ´Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen` kann und muss für die Analyse des Phänomens Zeit und der Transformation der Zeitkonzepte gerade im Zeitalter der multimedialen Welt durch den Topos ´Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` ersetzt werden. Achim Landwehr hebt hervor: „Die Kotemporalität als Gemeinsamkeit unterschiedlicher Verzeitungen“ [Landwehr 2012, 32] ist in der Bezogenheit ihrer Elemente konsekutiv.

Weiterhin ist nach Wolfram Drews zu bemerken: „die abwertende Konnotation des Begiffs Ungleichzeitigkeit“ [Drews 2008, 51, 53], welche das Präfix ´un` einbringt, ist nicht hilfreich Gleichzeitigkeit in dem darzustellen, wie sie durch den Gebrauch des Internet zutage tritt. Und Achim Landwehr hebt hervor: „derjenige, der von Ungleichzeitigkeit spricht, [muss] selbst in der Gewissheit leb[en] ´gleichzeitig` zu sein“ [Landwehr 2012, 25]. „Von der ´Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen` zu sprechen impliziert, gewollt oder ungewollt, die Ungleichzeitigkeit zu betonen, also das nebeneinander von Phänomenen, die aus welchen Gründen auch immer als nicht zusammengehörig verstanden werden.“ [Landwehr 2012, 19]. Elke Uhl spricht in diesem Zusammenhang von „einer inhärenten Paradoxie“ [Uhl, 2003, 58].

  1. Differenz

Doch wie soll die Differenz hergestellt werden? Die Konzeption von Zeit in ihren unterschiedlichen Formen temporaler Dauer und Rhythmisierung lassen unserer Meinung nach nur einen Sprachgebrauch zu, nämlich den der Gleichzeitigkeit. Dieser Begriff der Gleichzeitigkeit ist wesentlich in der Chronologie der gleichzeitigen Uhrenzeit verhaftet. Nutze ich hingegen den Topos ´der Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten`, so erweitere ich den gleichförmigen Uhrenlauf in eine Dimension der Paralellitäten und fordere die Transformation des Zeitbegriffes heraus. Zeit ist damit innerhalb ihrer Messbarkeit ein Konstrukt aus Erlebniszeit und einer Zeit, welche mit und neben dieser koexistent ist. Diese Art der Gleichzeitigkeit ist in ihrer Differenz zu sich und ihrer Umwelt die ´Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` und formt den Raum, in dem sie sich abspielt. Nicht der Raum formt die Zeit, sondern die Zeit formt den dinglichen Raum.

Die Dinge sind die gesellschaftlichen und soziokulturellen Verhältnisse, die in der einen Zeit den einen Raum gestalten. In der Pluralität der gleichen Zeiten liegt die Differenz zu sich selbst. Wir erschaffen durch das Internet Räume, die verlässlich Zeiten konzipieren und umgekehrt. Wir konzipieren Räume, indem gleichzeitig sich Ereignisse entfalten, die different in der gleichen Zeit sind und doch der einen zählbaren Zeit angehören. Mit dem Begriff der ´Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` sichere ich als Nutzer des Internet meine Eigenzeit, meine Erlebniszeit sowohl in den Räumen der realen Welt als auch in den Räumen der virtuellen Welt. Der differente Ereignishorizont ist weder im determinierten Raum noch in der chronometrischen Zeit fassbar. Erst die Überformung der Singularitäten in Pluralitäten ermöglicht uns im Zeitalter des Internet, einen Zeit- und Raumbegriff zu konzipieren, welcher der strukturellen Vielfalt und der ihr inhärenten Möglichkeitsexplosionen Rechnung trägt.

  1. Netz-Gegenwart

Es entspringt jeweils eine Gegenwart aus der angeschauten und erzeugten Realität. Es entspringt je eine Gegenwart aus der virtuell erzeugten Realität. Die sich darbietende Form der Zeit im Gewebe des Internet ist Gegenwart, gleichzeitige Gegenwart, damit eine Pluralität von Gegenwarten. Denn in dem rhizomatischen Gewebe der Datenströme und Verbindungen, der Kopplungen und Abbrüche kann eine Gegenwart als einzige nicht sein. Jede Kopplung, jeder Abbruch erzeugt als Ereignis Zeit und erzeugt seine eigene Zeit, Zeit in Form von gleich-zeitigender, sich aufbrauchender, sich aufeinanderlegender Gegenwarten. Niklas Luhman bringt die Begriffe der Gleichzeitigkeit und der Gegenwart in eine These und setzt damit systemtheoretisch Gleichzeitigkeit aus der Unterscheidung von System und Umwelt: „Alles, was geschieht, geschieht gleichzeitig. Gleichzeitigkeit ist eine aller Zeitlichkeit vorgegebene Elementartatsache.“ [Luhmann 2005, 98].

Die Voraussetzungen für diese ´Netz-Gegenwart` sind die charakteristischen Eigenschaften des Internet: eine hohe Diversität, Heterogenität und Komplexität in einem evolvierenden System mit einer außerordentlichen Offenheit und stetig steigender Ausdifferenzierung durch emergente Phänomene wie Selbstorganisation und Autopoiesis. Seine Möglichkeitsbedingungen sind extrem dynamisch, nicht zu kontrollieren, nicht vorhersehbar und von einem grenzenlosen Wachstum gekennzeichnet. Diese Netzeigenschaften haben Albert-Lászlo Barabási in seinem Buch Linked veranlasst zu fragen: „Was genau haben wir da entworfen?“ [Barabási 2003, 149]

  1. Schöpferisches Werden

Zeit ist ein schöpferisches Werden. Henri Bergson stellt diese Aussage in den Mittelpunkt seiner zeittheoretischen Betrachtungen. Deleuze schreibt sie fort. Beide suchen nach einer vom Raum unabhängigen Beschreibung der Zeit. Bergson kritisiert die Analogsetzung von Raum und Zeit mit den Worten:„Durch die ganze Geschichte der Philosophie hindurch sind Raum und Zeit auf die gleiche Ebene gestellt und wie Dinge derselben Art behandelt worden. Man untersucht dann eben nur den Raum, bestimmt seine Natur und seine Funktion und überträgt die gefundenen Ergebnisse auf die Zeit.“ [Bergson 2008, 24].

Mit der Einführung seines Begriffes der Dauer (durée) prägt Bergson der heterogenen Ereignisstruktur sich durchdringender und konstituierender Dimensionen aus virtueller Vergangenheit und aktualer Gegenwart den Stempel des Werdens auf.

Wenn ich die Wirklichkeit nach Bergson als Dauer definiere, gewinnt die Zeit in der Dauer Realität, doch eine Realität, die ich, bezogen auf das Internet, als virtuell zu bezeichnen habe. Es ist die Zeit der virtuellen Gegenwart, welche in der Dauer die Realität der realen Gegenwart ersetzt, austauscht, überlagert. Die Pluralität der Gegenwart ist ein Kennzeichen des Netzes. Entsprechend der Theorie des Rhizomatischen nach Deleuze und seiner Rezeption der Dauer nach Bergson ist es ein Ansatz, Wirklichkeit temporal zu betrachten und Gegenwart als ´Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` zu bezeichnen.

  1. Wirklichkeit im Internet

Wirklichkeit ist für den Nutzer des Internet das Akzeptieren verschiedener Gegenwarten in ihrer Gleichzeitigkeit. Die Gleichzeitigkeit induziert die Gleichzeitigkeiten in sich ausformenden Qualitäten, aber eben im gleichen Zeitmodus. Die Interaktion im Netz schafft die Möglichkeit, verschiedene Gegenwarten zu erzeugen, die in der Gleichzeitigkeit neue Gleichzeitigkeiten produzieren und so im Prozess der Zeiterzeugung einen völlig neuen Zeitmodus, den der gleichzeitigen Gleichzeitigkeit, generieren. Helga Nowotny spricht in ihren Essay Eigenzeit in diesem Zusammenhang von Ko-Präsenzen, „technisch miteinander verbundene, öffentliche Zeit konstituierende subjektive Existenzen“ [Nowotny 1993, 29].

Was bedeutet diese These für unser Zeitverständnis? Wir erleben Zeit gleichzeitig, auch als gestaucht und gedehnt, als beschleunigt und verlangsamt. Dieses Ereignen im Sinne von Zu-eigen-machen (nach Heidegger), entkleidet das Phänomen Zeit seiner Mystizität und gibt uns die Möglichkeit das Internet als zeiterzeugend zu begreifen. Wir greifen in die Tastatur und bringen mit den Klicks Zeit hervor, indem wir sofort Verbindungen aktivieren, von denen wir teilweise keine Kenntnis haben, dass sie aktiv werden. Wir erzeugen Parallelität und erfahren Zeit unter unseren Händen. Es ist Zeit, die wir verbringen, Zeit, die wir verbrauchen und Zeit, die auf sich bezogen, sich ausformt in Abfolgen, die gewissermaßen in sich gestapelt sind.

Wir sprechen von Datenpaketen, die wir versenden. Wir sprechen von Datenströmen, doch der Fluss der Zeit ist nicht ein Strömen, sondern ein Auseinanderliegen von Gegenwarten. Sich damit auseinander zu setzen bedeutet, sich einer Realität zu versichern, die als virtuell zu bezeichnen ist. Wiederholung und Differenz (nach Derrida) sind in diesem Sinne zeiterzeugend. Derrida sieht Zeit als Wirklichkeitsphänome. Er bindet seine Zeittheorie an eine Erzeugung von Zeit, die sich aus Differenz und Wiederholung als wirklichkeitskonstituierend erweist, als eine Wirklichkeit, die sich so nicht mehr beobachten lässt.

  1. Unterscheiden

Alles Beobachten erfordert ein Unterscheiden. In seinem Werk Laws of Form (1969) postuliert George Spencer-Brown (*1923) : „Das heißt, eine Unterscheidung wird getroffen, indem eine Grenze mit getrennten Seiten so angeordnet wird, daß ein Punkt auf der einen Seite die andere Seite nicht erreichen kann, ohne die Grenze zu kreuzen. […] Wenn einmal eine Unterscheidung getroffen wurde, können die Räume, Zustände oder Inhalte auf jeder Seite der Grenze, indem sie unterschieden sind, bezeichnet werden.“ [Spencer-Brown 1979, 1].

Spencer-Brown führt dazu weiter aus, daß „sich der Zustand, den wir ins Auge fassen, nicht im Raum, sondern in der Zeit“ [Spencer-Brown 1979, 51] befindet. Der Aspekt der Zeit wird in diesem Zusammenhang auch von Luhmann betont, indem er das Vorhandensein der Grenzen als gleichzeitig betont, sie aber nicht als gleichzeitig benutzbar bezeichnet: Niklas Luhmann betont:„Die beiden Seiten sind gleichzeitig und in einem vorher/nachher Verhältnis gegeben. Als Unterscheidung sind sie gleichzeitig aktuell, als Referenz einer Bezeichnung nur nacheinander.“ [Luhmann 1993, 98]. Der Beobachter muss sich dabei deutlich machen, dass er in der Beobachtung nicht außerhalb des Systems steht, sondern immer Teil des Systems ist. Im temporalen Sinn

„kann es im Gleichzeitigen für den Beobachter kein Vorher und Nachher geben. Vergangenheit und Zukunft sind demnach als Elemente der Zeitlichkeit nicht per se gegeben. Vielmehr können Vergangenheit und Zukunft nur als Ergebnisse einer Differenzierung relevant werden, denn als komplimentäre Zeithorizonte sind auch sie nur gleichzeitig gegeben. Hiermit ist ein weiteres paradoxales Element angesprochen, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nämlich nur gleichzeitig beobachtet werden können.“ [Landwehr 2012, 30]

Diese Überlagerungen unterschiedlicher Konstruktionen von Zeit machen deutlich, dass es nicht möglich ist, von der Zeit schlechthin zu sprechen. Der Topos der `Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` scheint uns gut gewählt, um auch den nichtlinearen, den zyklischen, den Wirbel der Zeit einzubeziehen und Zeitverhältnisse in der Vernetzung des Internet darstellen zu können. Die Pluralität der Gleichzeitigkeit durchzieht die Räume des Internet und erschafft Räume ständig neu.

Der Beobachter ist im Netz als Beobachter nicht kenntlich. Er ist gleichsam Beobachter und Akteur zugleich und im Überschreiten, im Kreuzen der Grenzen, wie Spencer-Brown es nennt, erzeugt er verschiedene Realitäten, die ohne sein Wirken sich aufeinanderlegen, und damit erzeugt er Realitäten, die er selbst nicht mehr als auf sich bezogen wahrnehmen kann. Er ahnt die erzeugten Welten als losgelöst von sich und sieht den Wechsel von einer Welt in die nächste als Wechsel von Realität zur Virtualität. Er kennt seinen Standort nicht mehr. Er kann den Ort nicht bestimmen, weil es den Raum nicht gibt, wo der Ort liegen könnte. Was bleibt, ist die Zeit als Koordinate unseres Seins. Doch wie wir festgestellt haben: die Zeithorizonte legen sich mit den erzeugten Wirklichkeiten übereinander. Also bleibt nur die ´Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` und die Wirklichkeit der Gleichzeitigkeit.

  1. Ereignisse induzieren Ungleichheiten

Ereignisse induzieren Ungleichheiten und ihre zeitliche Dimension ist die Ungleichzeitigkeit. Mit dieser Aussage wollen wir unsere Plädoyer für die Ersetzung des Topos ´Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeiten` durch den Topos ´Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` kritisch hinterfragen.

Helga Nowotny zeigt in ihrem Buch Eigenzeit (1989) auf, dass „die Ermöglichung einer approximativen Gleichzeitigkeit mit Hilfe der modernen Elektronik […] keineswegs zu einer sozialen Gleichzeitgkeit […] führt. Im Gegenteil, neue Ungleichheiten erwachsen aus Ungleichzeitigkeiten.“ [Nowotny 1993, 11]. Die Suche nach der approximativen Gleichzeitigkeit deckt die Ungleichzeitigkeiten der sichtbaren sozialen Systeme auf, die eine Gleichzeitigkeit als Gleichheit illusionieren. Doch die Dimension der sich darbietenden Gleichzeitigkeit setzt die gleiche Zeit durch Differenz zu sich selbst. Das bedeutet, dass die gleiche Zeit sich auflöst in sichtbare Aufeinanderfolgen von sich zeitigenden Strukturen, die einmal öffentlich und sanktioniert sind und zum anderen durch viele sichtbare subjektive Eigenzeiten aufsummiert werden, die Gleichheit durch die Telekommunikationsmittel suggeriert, aber Ungleichheiten erzeugt durch die Anwendbarkeit der wachsenden Annäherungen von Ko-Präsenzen.

Denn die Sicht auf die gleiche Welt in ihrer sozialen Ungleichheit in der gleichen Zeit offenbart ein Nebeneinander von Zeiten, die in sich different sind, zu einer gedachten Weltzeit, die jedoch nichts anderes ist als eine Illusion, wie Nowotny betont. Die Weltzeit ist die Zeit, welche sich als eine Aufsummierung der sichtbaren Eigenzeiten als „weltumspannende Gleichzeitigkeit“ [Nowotny 1993, 20]. darbietet. Doch es sind die Eigenzeiten, welche subjektiv sind, und in Differenz zur öffentlichen Zeit stehen. Die öffentliche Zeit, summiert sich zwar als sich zeitigende Zeit auf, (was an öffentlichen Ereignissen aufzusummieren ist), aber sie deckt sich nicht zu gleichen Teilen mit der subjektiven Zeit.

Somit kommt es zu Ungleichheiten, zu Diskontinuitäten und Unterbrechungen, welche eine zeitliche Dimension erhalten, nämlich die der Ungleichzeitigkeit. Diese ist im sozialen Raum anzusiedeln und der Ungleichzeitigkeit in Form der Ungleichheit Ausdruck zu verleihen. Der Begriff ist von Bloch auch in diesem Sinne eingeführt worden, wie wir eingangs beschrieben haben. Eine kontroverse Diskussion ist es also nicht, wenn wir der ´Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` als Topus den Vorrang geben und doch der Ungleichzeitigkeit in der Form der Ungleichheit einen Standort zuweisen, der sich darstellt im sozialen Bereich. Es ist doch in der sichtbaren Vernetztheit der Bezüge zwischen den Menschen ein aufstrebendes Nebeneinander von Zeiten festzustellen, die sich auch unterscheiden in den Geschwindigkeiten des Gebrauchs der technischen Mittel. Henri Bergson beschreibt das so: „Den Weg , den wir in der Zeit durchlaufen, ist übersät mit den Trümmern all dessen, was wir zu sein begannen, all dessen, was wir hätten werden können.“ [Bergson 2013, 109].

Die Geschwindigkeit entscheidet letztlich über einen Eintritt des Ereignisses aus dem wachsenden Feld der angehäuften Ereignisse. Es ist die beschleunigte Folge, nicht als sukzessive, sondern als ko-präsente Ereignisfolgen, infolge von Vernetztheit und diachronen Ereignisauftritten. Das heißt: die Ereignisse sind in der einen Zeit potenziell vorhanden, doch es treten nicht alle ans Licht. Sie sind abhängig von der Geschwindigkeit, mit der die Durchlässigkeit der sichtbaren Horizonte durchbrochen werden kann und von der Wiederholbarkeit der Ereignisse in ihrer Bedeutung. Wiederholen heißt, ein Wiederkommen in der ereignisinduzierten Ungleichheit. Denn die Ungleichheit erlaubt, die Differenz zu bilden, die notwendig ist, um überhaupt gleiche Ereignisse als gleich wahrnehmen zu können. Das mag paradox klingen, doch die Herstellung der Differenz ist unabdingbar, um zu unterscheiden und in der Unterscheidung die Ereignisse als gleiche oder ungleiche zu erkennen. Denn das Überschreiten der Grenzen, wie Spencer- Brown sagt, ist die Voraussetzung zur Setzung des Begriffs. Und der Begriff unterscheidet die Dinge und macht mit dem Unterscheiden ihr Erkennen möglich. Und so ist auch der Topus der ´Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` durch die Unterscheidung von der diachronen Zeit zu handhaben.

Abschließend ist festzustellen, dass es zu einer neue Differenzen erzeugenden Verwobenheit unterschiedlicher Ebenen von Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit durch die Internet-Globalisierung kommt, (wenn sie auf unterschiedliche Kulturen trifft). Dann findet sowohl Gleichzeitigkeit als auch Ungleichzeitigkeit gleichzeitig statt. Vielleicht erzeugt gerade diese Verspleißung unterschiedlicher substanzieller wie artifizieller Temporalitäten diese Explosion der Zeitdimensionen im Netz.

Literatur

Barabási, Albert-Laszlo. (2003). Linked. How Everything Is Connected to Everything Else and  What It Means for Business, Science, and Everyday Life. Cambridge, Massuchusetts.

Bergson, Henri. 2008. Denken und schöpferisches Werden. In Klassiker der modernen Zeitphilosophie. Walther Ch. Zimmerli & Mike Sandbothe (Hrsg.). Darmstadt: WBG. 223-239.

Bergson, Henri. 2013. Philosophie der Dauer. Textauswahl von Gilles Deleuze. Hamburg : Meiner.

Bloch, Ernst. 1962. Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt am Main : Suhrkamp.

Bloch, Ernst. 1963. Tübinger Einleitung in die Philosophie Frankfurt am Main : Suhrkamp.

Drews, Wolfram. 2008. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen` als problem transkultureller Komparatistik am Beispiel frühmittelalterlicher Herrschaftslegitimation. In Comparativ 18, 2008, H3/4, 41-56.

Koselleck, Reinhart. 1989. Vergangene Zukunft.Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Koseleck, Reinhart. 2003. Zeitgeschichten. Studien zur Historik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Landwehr; Achim. 2012. Von der ´Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen`. Historische Zeitschrift , Band 295. Heft 1. August 2012. München: Oldenburg Verlag. 1-34.

Latour, Bruno. 2008. Wir sind nie modern gewesen.Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Luhmann, Niklas. 2005. Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. Wiesbaden : VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Nowotny, Helga. 1993. Eigenzeit. Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Uhl, Elke. 2003. Gebrochene Zeit? Ungleichzeitigkeit als geschichtsphilosophisches Problem.In Geschichtsphilosophie und Kulturkritik. Historische und systematische Studien. Johannes Robeck/ Herta Nagl-Docekal (Hrsg). Darmstadt: WBG. 50-74.

 

Zusammenfassung

Der von Ernst Bloch (1885-1977) geprägte Topos der ´Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen` war für uns der Anstoß für eine Analyse der Gleichzeitigkeit in ihrer Pluralität. Das Phänomen Internet scheint uns in seiner Ausprägung von Gleichzeitigkeiten eine Herausforderung zu sein, den Topos ´Gleichzeitgkeit des Ungleichzeitigen` durch den Topos ´Gleichzeitigkeit der Gleichzeitigkeiten` zu ersetzen. Dabei ist zu diskutieren, inwieweit durch die Internetglobalisierung Ungleichheiten Ungleichzeitigkeiten induzieren. Und es ist zu fragen, ob nicht gerade durch die Verspleißung unterschiedlicher substantieller wie artifizieller Temporalitäten die Explosion der Zeitdimensionen im Netz erklärbar werden.

 

Vortrag Wroclaw/Breslau 2015

Vortrag Wroclaw/Breslau 2015

Zeit-Werden des Raumes

Derridas Temporisation der Zeichen und das Internet

Konstantin und Kornelius Keulen

Die moderne Zeitdebatte versucht gerade in Hinblick auf die Medienphilosophie und die aus ihr hervorgehenden heterogenen Zeitkonzepte verbindende Elemente zu finden, welche die Zeit in ihren Verflechtungszusammenhängen von sinnlicher Wahrnehmung (Raum – Zeit), semiotischer Kommunikation (Bild, Sprache, Schrift) und technischer Ausführung beschreiben können. Eines dieser verbindenden Elemente ist das Zeichen. Jacques Derrida (1930-2004), der Vordenker der theoretizistischen Medienphilosophie, setzt im Anschluss an Marshal McLuhan (1911-1980) eigene Begriffswelten, die er nicht als etwas völlig Neues charakterisiert, sondern als im Text Verborgenes bezeichnet, das durch die Dekonstruktion sichtbar wird.<

Das Sichtbarmachen des Verborgenen ist für das Internet paradigmatisch. Es sind Zeichen, die ein Verbergen und Entbergen überhaupt erst möglich machen. Es sind die Zeichen, welche auf etwas verweisen, das außerhalb ihrer selbst liegt. Doch die Möglichkeitsbedingungen der Produktion und Funktion von Zeichen haben sich durch die transversale Grundverfassung des neuen Mediums Internet verändert. Die Zeichen beziehen sich nicht mehr auf eindeutig Bezeichnetes, sie werden austauschbar und lösen sich von ihren Bezügen. Jean Baudrillard (1929-2007) sagt dazu: Die Zeichen flottieren frei; Derrida spricht vom nichtreferentiellen Zeichen.

Kehren wir zurück zu Derrida. Er ordnet sich selbst folgendermaßen in die bestehenden Systeme des Philosophierens ein: „Mit Schopenhauer und Nietzsche und später Heidegger entwickelte sich eine Form des metaphysikkritischen Philosophierens, welches die Auflösung der klassischen Form des philosophischen Diskurses und die Hinwendung zur Er­probung literarischer Diskurse als Mittel zur Lösung philosophischer Probleme versuchte.“ [Derrida 2004, 16].

Bei Derrida ist ein Zusammenhang sowohl der wissenschaftlich-diskursiven als auch der literarischen Metaphysikkritik zu finden. Das Verborgene im Text begreift er als Spiel differentieller Verweisungen von einer Spur auf eine andere. Mit der Einführung des Begriffes der Spur gelingt es ihm, dem Text etwas Grenzenloses zu geben. Er ist ohne Grenzen, und damit intendiert sich die Spur weder als Anwesenheit noch als Abwesenheit.

Derrida sagt: „Da die Spur kein Anwesen ist, sondern das Simulacrum eines Anwesens, das sich auflöst, verschiebt verweist, eigentlich nicht stattfindet, gehört das Erlöschen zu ihrer Struktur.“ [Derrida 2004, 142].

Die Abwesenheit ist für ihn eine entfernte Anwesenheit, eine aufgeschobene Anwesenheit. Und er führt weiter aus: „[…] diese Abwesenheit ist nicht eine fortgesetzte Modifikation der Anwesenheit, es ist ein Bruch der Anwesenheit […] eingeschrieben in die Struktur des Zeichens.“ [Derrida 2004, 81].

Für die Schrift bedeutet dies, dass das Zeichen in Abwesenheit des Empfängers hervorgebracht wird. Doch die Schrift ist wiederholbar, iterierbar.

Er schlussfolgert: „Das Schreiben ist das Produzieren von Zeichen [marque], das eine Art Maschine darstellt, die ihrerseits produktiv ist und die durch mein zukünftiges Verschwinden prinzipiell nicht daran gehindert werden wird, zu funktionieren und sich lesen und umschreiben zu lassen… […] Damit ein Schriftstück ein Schriftstück ist, muß es fortfahren zu ´handeln` und selbst dann lesbar sein, wenn der sogenannte Autor des Schriftstücks nicht mehr für das, was er geschrieben […] hat einsteht.“ [ebd.].

Heidegger verweist in diesem Zusammenhang in seinem Nachwort zu Was ist Metaphysik? auf die Differenz, die Differenz zwischen Sein und Seiendem, welche er als ontologisch bezeichnet. Deleuze postuliert: „Wir wollen die Differenz an sich selbst und den Bezug des Differenten zum Differenten denken, unabhängig von den Formen der Repräsentation, durch die sie auf das Selbe zurückgeführt und durch das Negative getrieben werden.“ [Deleuze 2007, 11f.]

Differenz und Wiederholung bei Deleuze werden wie Sein und Seiendes bei Heidegger zum Mittel, das Undenkbare zu denken, das im Gedanken Mitschwingende, das Unaussprechliche aufzuspüren und an die Oberfläche zu tragen, wo es verschiedene Konnotationen eingeht, Zeichen oder Spur wird. „[…] das Feld oder das Spiel des Bezeichnens [hat] keine Grenzen mehr,“ sagt Derrida [Derrida 1976, 425]. Die Differenz zwischen Signifikant und Signifikat verschwindet.3 Damit verweist er auf die Differenz, die Differenz der Spur zu sich selbst. Derrida stellt heraus:

„Das Anwesende wird zum Zeichen des Zeichens, zur Spur der Spur. Es ist nicht mehr das, worauf jede Verweisung in letzter Instanz verweist. Es wird zu einer Funktion in der allgemeinen Verweisungsstruktur. Es ist Spur und Spur des Erlöschens der Spur.“ [Derrida 2004, 143].

Dieses „zugleich gezeichnete und ausgelöschte“ [ebd.] ist nach Derrida die différance. Er führt das a in das wort différence ein, als Erweiterung, als, wie er ausführt, „strategische Verallgemeinerung des Begriffs des Textes, um der Dekonstruktion ihre Möglichkeit zu geben.“ [Derrida 2004, 18]. Und er fährt fort: Es ist „das Spiel der Differenz als Bedingung der Möglichkeiten des Funktionierens eines jeden Zeichens […]. Das a der différance ist also nicht vernehmbar, bleibt stumm, verschwiegen, diskret […]“. [Derrida 2004, 112].

Die différance ermöglicht für ihn die „Gegenwärtigung des gegenwärtig Seienden. […] Sie gibt sich nie dem Gegenwärtigem hin.“ [Derrida 2004, 114].

Damit postuliert er, was die différance nicht ist, „das heißt alles und daß sie folglich weder Existenz noch Wesen hat. Sie gehört in keine Kategorie des Seienden, sei es anwesend oder abwesend.“ [Derrida 2004, 115].

Und er fährt fort: „Die différance, die weder ein Wort noch ein Begriff ist, [erschien] mir am besten geeignet, das Irreduzibelste unserer ´Epoche` zu denken.“ [Derrida 2004, 116].

Dieser Satz erscheint uns so unumstößlich, dass es sich lohnt die Denkmaschine Derridas auf das Internet direkt zu beziehen. Denn seine weiteren Ausführungen zur Herleitung des Verbes différer (lat. differre) in seinen zwei Bedeutungen belegen seine Intention, eine Welt zu denken, die sich im Verbergen und Entbergen bezeichnet. Es ist die Gestalt, die sich zeigt, und es sind die Zeichen, die produzieren und funktionieren.

In diesem Zusammenhang wollen wir auf Georg Friedrich Wilhelm Hegels (1970-1831) Definition der Elektrizität verweisen, die, wie wir meinen, in besonderer Weise den Begriff der Gestalt illustriert: „Die Elektrizität ist der reine Zweck der Gestalt, die sich von ihr befreit; die Gestalt, die ihre Gleichgültigkeit aufzuheben anfängt, denn die Elektrizität ist das unmittelbare Hervortreten oder das noch nicht von der Gestalt herkommende, noch durch sie bedingte Dasein, oder noch nicht die Auflösung der Gestalt selbst, sondern der oberflächliche Prozeß, worin die Differenzen ihre Gestalt verlassen, aber sie zu ihrer Bedingung haben und noch nicht an ihnen selbstständig sind“. [Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 1830, §323 (Zusatz) oder Werkausgabe Suhrkamp, 1970, 278].

Die Dekonstruktion als Methode in Derridas Philosophie fordert das Verlassen der Allgemeingültigkeiten und der Herrschaft des Kontextes und postuliert dafür die Einzigartigkeit der Begriffe im Verborgenen. Ihre Nichthintergehbarkeit ist für ihn die einzige Möglichkeit, Sein und Seiendes zu denken. Ganz im Heideggerschen Sinn, der von Seinsvergessenheit spricht, wenn er die Differenz von Sein und Seiendem bezeichnen will. Derrida macht das Spiel, die différance, zum Ursprung der Effekte, welche Effekte produzieren und durch welche die Produktion von Differenzen Seiendes entweichen lassen.

Er erkennt: „Für uns bleibt die différance ein metaphysischer Name, und alle Namen, die sie in unserer Sprache enthält, sind immer noch qua Namen metaphysisch. Insbesondere, wenn sie die Bestimmung der différance als Unterschied des Anwesens zum Anwesenden aussprechen, doch auch dann schon, wenn sie ihre Bestimmung als Unterschied des Seins zum Seienden bezeichnen.“ [Derrida 2004,145].

Kehren wir zurück zu den unterschiedlichen Bedeutungen des Verbs différer, welche Derrida in besonderer Weise nutzt, um die différance als Bewegung im Bedeuten zu bezeichnen. Différer umfasst auch die Bedeutung, etwas auf später zu verschieben, eine Tätigkeit, einen Umweg, Aufschub, Reserve, und damit eine Temporisation. Hier ist anzumerken, dass Derrida die Begriffe Temporalisation und Temporisation in gleicher Weise benutzt, wobei er Temporisation bevorzugt. Derrida führt aus:

„Différer in diesem Sinne heißt temporisieren, heißt bewußt oder unbewußt auf die zeitliche und verzögernde Vermittlung eines Umweges rekurrieren, welcher die Ausführung oder die Erfüllung des ´Wunsches` oder ´Willens` suspendiert und sie ebenfalss auf eine Art verwirklicht, die ihre Wirkung aufhebt oder temporiert. […] Die andere Bedeutung von différer ist die eher gewöhnliche und identifizierbare: nicht identisch sein, anders sein, erkennbar sein und so weiter.“ [Derrida 2004, 117f].

Aus dieser Andersheit, welche eine dynamische, aktive ist, die mit der Wiederholung verknüpft, das Zeichen strukturiert, entsteht, wie Derrida formuliert, eine Verräumlichung „mit beharrlicher Wiederholung, Intervall, Distanz“ [ebd.].

Différance als Temporisation und als Verräumlichung: das ist nach Derrida „das Zeit-Werden des Raumes und das Raum-Werden der Zeit“ [Derrida 2004, 117f]. Aus dieser Denkfigur ist es ein Zwingendes, zum Wesen des Zeichens zu gelangen, und Derrida führt aus: „Das Zeichen stellt das Gegenwärtige in seiner Abwesenheit dar. Es nimmt dessen Stelle ein. […] Wenn wir die Sache, sagen wir das Gegenwärtige, das gegenwärtig Seiende, nicht fassen oder zeigen können, wenn das Gegenwärtige nicht anwesend ist, bezeichnen wir, gehen wir den Umweg über das Zeichen. […]. Das Zeichen wäre also die aufgeschobene [différée] Gegenwart.“ [Derrida 2004, 119].

Die Präsenz wird aufgeschoben, sie ist vorläufig. Und so ist die Abwesenheit die aufgeschobene Anwesenheit. „Beliebigkeit und Verschiedenheit, sagt der Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure (1857-1913), sind zwei korrelative Eigenschaften.“ [Saussure 2001,141].

Die Temporisation der sich darbietenden Zeichen macht ihre Signifikation aus und damit im Gewebe der Verweisungssysteme ihre Konstruktion von Differenzen. Konstituiert wird eine modifizierte Gegenwart, denn die Bewegung des Bedeutens der Zeichen bezieht sich auf zukünftige und vergangene Elemente ohne jemals Zukunft oder Vergangenheit zu sein.

Derrida bezeichnet in Anlehnung an die Semiologie Hegels das Zeichen als Prozess, ein Prozess eines Verweises einer Präsenz auf eine andere, welche in einer zirkulären Wiederaneignung in eine finale Präsenz übergeht. Er formuliert: „Die Zeit des Zeichens ist dann die Zeit des Verweises. […] Seit jeher wird die Bewegung der verlorenen Präsenz schon den Prozess ihrer Wiederaneignung eingeleitet haben.“ [Derrida 2004, 151]. Er beschreibt diesen Prozess als behaftet mit Brüchen, Diskontinuitäten und Umstrukturierungen und sagt:

„Im Augenblick, wo ein Zeichen entsteht, beginnt es damit, sich zu wiederholen. Sonst wäre es kein Zeichen, es wäre nicht, was es ist, das heißt dieser Mangel an Selbstidentität , der regelmäßig auf dasselbe verweist. Das heißt, auf ein anderes Zeichen, das seinerseits aus seiner Aufteilung geboren wird.“ [Derrida 2004, 446].

Dieser Übergang, dieses Über-sich-hinausgehen weist auf eine Zirkularität, welche die Rückkehr zu sich selbst sichert. Dieses Hinausweisen ist nach Derrida in Rezeption auf Hegel verbunden mit dem subjektiven Geist und seiner Erkenntnisfähigkeit. Nach Kant ist es die Anschauung, die den Begriff des Zeichens prägt. Die produktive Einbildungskraft ist es bei Hegel, welche Form und Inhalt bestimmen.

Wir schlussfolgern: Mit der Dichotomie der différance und damit des Zeichens in Verräumlichung und Temporisation erhalten wir die Möglichkeit, Zeichen und Internet neu zu denken. Aus unserer Sicht ist die Temporisation als der entscheidende Aspekt in der Betrachtung der Zeichenhaftigkeit und der Bewegung der Zeichen im Internet anzusehen, wie auch Derrida belegt: […] „Die Zeit ist die Wahrheit dessen, was sie in einer Bewegung der Aufhebung negiert – den Raum“ [Derrida 2004, 178]. Dieses in Anlehnung an Hegel formulierte Postulat soll uns hinleiten zu einer Betrachtung der Zeitlichkeit der Zeichen im Internet.

Es ist zu fragen, welcher Zeitmodus die Zeichenhaftigkeit des Internet am deutlichsten referiert. Es ist festzustellen: Die Repräsentanz der Zeichen ist die Gegenwart. Die Vernachlässigung, ja die Aufhebung des Raumes in der Zeit nach Derrida und Hegel impliziert für uns die Möglichkeit, eine Zeitlichkeit des Internet zu denken, welche eindrücklich die Effekte der Zeichenvermitteltheit des Denkens durch die elektronischen Medien, insbesondere durch das Internet, belegen kann. Bereits nach Charles Sanders Peirce (Purse) (1839-1914) ist „das Erfahrbare durch Zeichen ´vermittelt`“ [Nagel 1998, 21]. Im Beziehungsgeflecht der Zeichen erfährt der Nutzer des Internet unterschiedliche Verweisstrukturen, welche sich in ihrer Präsenz einander zu- und unterordnen und gleichberechtigt im Raum sind, unterscheidbar lediglich in der Zeit, weil es eben die Wahrnehmung ist, die erfahrbar macht, und diese ist different in der Zeit.

Derrida spricht in diesem Zusammenhang von dem Dasein in der Zeit als „die wahrhaftere Gestalt der Anschauung […], weil die Zeit die Aufhebung – das heißt in Hegelschen Ausdrücken die Wahrheit, das Wesen als Gewesenheit – des Raumes ist. Die Zeit, das ist der wahre essentielle, gewesene Raum, wie er gedacht, das heißt, aufgehoben wurde. Das, was der Raum bedeutet haben wird, ist die Zeit.“ [Derrida 2004, 178].

Derrida verbindet in der Produktion der Zeichen Gedächtnis (das Denken selbst) und Einbil­dungskraft im Prozess der Temporalisierung und erklärt somit die Verinnerlichung durch den Geist als das treibende Element. Der menschliche Zeichengebrauch, gerade in den medialen Technologien, macht deutlich, dass ein Zeichen allein, ohne semiotische Zeichenverknüpfung ´tot` ist, es ´lebt nur im Gebrauch`. Charles Sanders Peirce (Purse) (1839-1914) betont damit die „´semiotische` Anbindung von Zeichen an Folgezeichen“ [Nagel 1998, 45], und er geht sogar so weit, den Menschen selbst als Zeichen zu sehen, wie er sagt, „als Zeichen, das , um seinen Zeichencharakter wissend, selbst Zeichen benutzt und erfindet“ [Nagel 1998, 47].

Der Nutzer im Internet ist demnach ebenso als Zeichen an sich als auch als Zeichennutzer und Zeichenproduzent zu sehen. Diese Aufspaltung seiner An- und Abwesenheit im Netz durch seine unterschiedlichen Funktionen ist durchlässig und schafft die Möglichkeit einer Ereigniskette, an der er nicht unmittelbar beteiligt sein muss. Unmittelbar heißt hier: er ist beteiligt am Austausch von Zeichen, doch er steht in Differenz zu ihnen, weil das Zeichen selbst seine Rückkopplung zu sich selbst, die eine zirkuläre ist, im Netz findet, ohne die Bedeutung, mit der es ausgesendet wurde, zwingend behalten zu müssen. Der Dekonstruktivismus spricht vom ´freien Flottieren der Zeichen`. Damit meint er, dass die Verbindung von ´sign` und ´Interpretant` ihre Bestimmung verloren hat. Alfred Bellbaum (*1931) weist das so aus: „Sie beziehen sich nicht mehr auf ein eindeutig Bezeichnetes, sondern auf eine Sphäre, die von originären Bedeutungen befreit ist.“ [Bellbaum 2012, 147].

Die Zeichen werden austauschbar und lösen sich von ihren Bezügen. Das nichtreferentielle Zeichen ist ein Ergebnis, wie der Medienphilosoph Mike Sandbothe (*1961) formuliert: “Das Internet funktioniert als ein von der Nutzerin bzw. vom Nutzer kulturell miterzeugtes, technisch sowohl intern als auch extern transmedial verfasstes Hypermedium.“ [Sandbothe 2001, 168]. Mit diesem Zitat wird die eingangs formulierte These: der Mensch an sich ist selbst ein Zeichen, wieder aufgenommen. Ob auch er als Zeichen frei flottiert, soll an dieser Stelle nicht weiter untersucht werden.

Die Anforderungen an die Nutzer werden immer höher. Sandbothe betont, dass „[…] die Erfahrung eines hypertextuell vernetzten, interaktiv evolvierenden und potentiell unendlichen Verweisungs­zusammenhanges von graphischen, piktoralen und akustischen Zeichen“ [Sandbothe 2001, 219] zu einer komplexen Verflechtungsstruktur führt. Sie produziert in gewisser Weise Wirklichkeit, jedoch eine Wirklichkeit, die ganz essentiell an den Zeitaspekt geknüpft ist, wie wir ergänzend hervorheben möchten.

 

Literatur

Baudrillard, Jean. 1994. Die Illusion und die Virtualität. Bern: Benteli.

Bellebaum, Alfred/Robert Hettlage (Hrsg.). 2012. Mißvergnügen. Zur kulturellen Bedeutung von Betrübnis, Verdruss und schlechter Laune. Wiesbaden: Springer.

Derrida, Jacques. 1976. Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Derrida., Jaques. 2004. Die différance. Ausgewählte Texte. Mit einer Einleitung und herausgegeben von Peter Engelmann. Stuttgart: Reclam.

Deleuze, Gilles. 2007. Differenz und Wiederholung. Frankfurt am Main: Fink.

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich.1830. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, §323

(Zusatz) oder Werkausgabe, Frankfurt am Main:Suhrkamp 1970, 278.

Heidegger, Martin. 2007. Was ist Metaphysik? Frankfurt am Main: Klostermann.

Nagel, Ludwig: 1998. Pragmatismus. Frankfurt am Main: Campus.

Sandbothe, Mike. 2001. Pragmatische Medienphilosophie.Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.

 

Im Netz der Zeit – Das Internet im Spiegel der Ereignisphilosophie, Karlsruhe 2014

Vortrag Karlsruhe 2014 im Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) Aneignungs- und Nutzungsweisen Neuer Medien: Institution, Kreativität, Kompetenz

Konferenz in Karlsruhe 2.-4.11.2014

Im Netz der Zeit – Das Internet im Spiegel der Ereignisphilosophie, Karlsruhe 2014

Was hat die Medien-/Internetphilosophie zum Begriff Zeit beizutragen? Wird die nahezu alle Lebensbereiche durchziehende Vernetzheit durch das Internet in spezifischer Weise unsere Erfahrung von Temporalität verändern? Unter weitestgehender Aussparung soziokultureller und soziotechnischer Aspekte, welche in der durchgesehenen Forschungsliteratur die transdisziplinäre Diskussion bestimmen, soll auf der Grundlage der Ereignisphilosophie (Bergson, Deleuze, Heidegger, Whitehead) versucht werden, einen ereignisphilosophischen Ansatz für das Phänomen „Zeit“ im und durch das Internet zu finden. Eine umfassende Perspektive auf die zeitliche Verfasstheit des Internets existiert in der Forschungsliteratur bislang kaum.

Es wird ein doppeltes Forschungsinteresse verfolgt: Zum einen soll das Phänomen Internet auf den Aspekt Zeit hin fokussiert werden, und zwar in der Weise, dass Medialität und Temporalität als unterschiedliche Entitäten in ihren Verflechtungsverhältnissen (Zeit-Medium-Wahrnehmung) kritisch beleuchtet und diskutiert werden. Zum anderen soll die medieninduzierte Transformation des Phänomens Zeit in seinen Möglichkeitsbedingungen der Erzeugung von Wirklichkeit ein Leitgedanke sein.

Diese Aufgabenbestimmung erfordert die Untersuchung folgender Zentralperspektiven (andere werden im Laufe der Forschungsarbeit hinzutreten, Gewichtungen werden sich verschieben):

  • Virtualität – Realität, die Erzeugung einer Hyperrealität als Realität der Simulation.
  • Mensch – Maschine – Interface, Übertragung der alten metaphysischen Leib-Seele-Theorie auf das Internet?
  • Das Internet als Mittel, Medium, Milieu.
  • Die Transformation der Zeitmodi durch das Internet. Die ´Verflüssigung` der Gegenwart.
  • Die Transformation des temporal bestimmten Ereignisses durch das Internet/ die Beziehung von Zeichen – Symbolvermitteltheit.
  • Kreativität entfaltet sich in besonderer Weise im Internet und wirkt konstituierend                 auf die Zeitperspektiven.
  • Ein neues Verständnis von Zeit im Spannungsfeld von ereignisphilosophischer und medienphilosophischer Reflexion soll anknüpfend an die neueren Forschungen von JeanBaudrillard, Paul Virilio, Friedrich Kittler, Götz Großklaus, Mike Sandbothe, Antje Gimmler, Walther Ch. Zimmerli, Sybille Krämer, Hermann Lübbe, Hilary Putnam, Marshall Mcluhan, Kerstin Volland u.a. gefunden werden. Dazu wollen wir mit der Erarbeitung unserer „Philosophie der Leerstelle“ bezugnehmend auf das Internet beitragen. Der Ausgang ist offen: Mit Hieb und Stich, Karte-machen, nicht Kopie (Deleuze/Guattari) – das ist unser Ziel für die Bestimmung der Zeit im und durch das Internet.

Die folgenden zentralen Ausgangspunkte leiten hierbei unser Forschungsinteresse:

  • Der Mensch und das von ihm initiierte Internet erzeugen unhintergehbar Zeit. Das Sein ist die Zeit (Heidegger).
  • Das Internet erfährt durch die Leichtigkeit des Zugangs und seine globale Verfügbarkeit eine ununterbrochene Dynamik und Veränderung, die es hinsichtlich der Temporalität zu untersuchen gilt.
  • Die funktionale Einbindung des Mediums Zeit bringt einen Gegenwartsprimat hervor. Dieser ist zugunsten einer ´Verflüssigung` des Gegenwartsbegriffes zu relativieren.

Zu untersuchende Zentralperspektiven:

Imagination, Simulation, Fiktion, Virtualität – Realität

Es ist zu fragen: Wird durch die mediale Verfasstheit unserer Welt, die wir als real annehmen, eine Virtualität erzeugt, welche die vorgängige Realität ablöst? Kommt es durch Vertauschung von Realität und Virtualität zu einer Real-Virtualität und damit zu einer Hybridisierung der Wirklichkeit? Wie geht dieser Prozess vonstatten? Werden Imagination, Simulation, Fiktion, Virtualität die bestimmenden Elemente für unsere Wahrnehmungsformen von Zeit und Zeiterfahrung?

Inwieweit werden die Converging Technologies, welche die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Bereichen der Nano-, Bio-, Informations- und Cognitionstechnologien vorantreiben, das Internet zu einem alles durchdringenden Rhizom sich ausweiten lassen, das nicht nur universal kommuniziert, sondern vor allem auch handlungsmächtig und gestaltend in die Wirklichkeit eingreift? (Petsche).

Das Simulacrum als zentraler Begriff der Virtualität der durch die Medien bestimmten modernen Gegenwartsgesellschaft lässt die Unterscheidung zwischen Original und Kopie, Vorbild und Abbild, Realität und Imagination verschwinden (Baudrillard), und es kommt damit zu einer faktischen Auflösung der Differenzen (Deleuze, Virilio). Wird die Hyperrealität, als Realität der Simulation, das Bestimmende für unsere Zeiterfahrung? (Schetsche, Krämer, Baudrillard).

Der Cyberspace, als eine Form virtueller Realität (Münker), löst die Differenz zwischen Sein und Schein auf. Wir fragen: sind wir bereit eine Cybertime anzuerkennen und wie wird diese dann unser Zeiterleben und neue Zeitimplikationen bestimmen? Das Denken in der Temporalität eröffnet uns die Möglichkeit in der Verfasstheit von Ereignis die Validität solcher Seinszustände, wie sie sich im Internet entfalten, so zu denken, dass es möglich ist, Sein als Sein analog zu denken. Eine temporale Betrachtungsweise ist unserer Meinung nach der räumlichen Betrachtungsweise vorzuziehen, denn die Ereignisse entfalten ihre Wirkungen in unbeabsichtigter und unvorhersehbarer Weise, sie lassen sich nicht konfinieren, sie wirken in einer nichtlinearen Verknüpfung, sie sind virtuell aktiv (Nowotny).

Mensch – Maschine – Interface:

Lässt sich die alte metaphysische Leib-Seele-Theorie, wonach es einen Primat des Geistes gibt, auf das Internet übertragen? Körper als Hardware, Geist als Software – welcher Zusammenhang zwischen reflektierendem Denken und der Aktion und Reaktion im Internet besteht (Moravec), ist er temporal zu fassen? Die Maschine ist ein System, der Mensch ist ein System: Wird es ein Denken ohne Körper (Körper als menschlicher Körper, nicht als Hardware) geben? Kann es die Schaffung einer künstlichen Intelligenz geben? Denn der Zeitbegriff spielt für das reflektierende Denken durch die Dimension der zeitlichen Existenz des Menschen eine entscheidende Rolle (Putnam). Die Maschine, als extendierter Teil des Menschen, ist nicht nur reine Hardware, sondern sie zieht den Benutzer in die Maschine und macht ihn zu einem Teil von sich. Das Internet wird so zu einem Hybrid. Das Internet als Grenze, als Grenze zwischen Technik und virtueller Hülle. (Petsche). Wie ist diese im Spannungsfeld Mensch-Maschine temporal zu fassen? Welche Temporalitäten werden erzeugt? Welche Rolle spielt das ubiquitäre Computing, das die vertauschung von Realität und Virtualität auf die Spitze treibt? (Petsche, Weiser,).

Das Internet als Mittel, Medium, Milieu

Medium und Medialität

Warum ist es nötig, die Medialität im Medium Internet neu zu fassen und temporal zu bestimmen?

Die dreifache Dimension oder Perspektive der Medialität des Internets als Vermittlung in der Gestalt von Mittel, Medium und Milieu (Völz) erfordert neben der kommunikationstheoretischen Ausleuchtung und intrakulturellen Ausdifferenzierung neuartiger Lebensbezüge (McLuhan, Schmidt, Luhmann, Krämer, Erpenbeck/Heyse) auch eine technikzentrierte Umwertung (Bolz/Kittler/ Thola, Petsche). Der Einfluss, den die medientechnologischen Strukturen auf die menschlichen Zeitlichkeitsstrukturen ausüben (Virilio), tritt in den Focus einer medienphilosophischen Zeitbetrachtung. Diese hat sich nicht wie bisher an den kommunikationstheoretischen Ansätzen zu orientieren, sondern es ist für die Medialität des Internets ein ereignis- und zeitphilosophisches Denken einzuführen, welches in der Lage ist, das Internet in seiner Universalität, Globalität, Geschwindigkeit und (leichten) Verfügbarkeit als Zeitphänomen zu beschreiben (Petsche 2003).

Zeit wird destruiert/ die nomadisierende Präsenz

Die medieninduzierte Transformation unserer Zeitwahrnehmung führt zu einer Infragestellung der Zentralperspektive unseres Zeitdenkens. Zeit wird destruiert (Virilio) durch die nomadisierende Präsenz (Deleuze/Guattari, Deleuze) im Internet. Analoge Wahrnehmungs-verhältnisse des Menschen konkurrieren mit den digital erzeugten Zeitigungsstrukturen (Simulations­theorie von Kittler und Virillio). Die Inkommensurabilität der innerhalb und durch das Internet erzeugten Zeit fordert zu neuen Weisen der Beschreibung von Zeiterleben heraus. Der Fokus wird auf der Überlegung für eine Durchtrennung der Widersprüche von Erleben und Auslösen des Erlebten sein. Denn beides ist im Internet nicht mehr disparat.

Die Transformation der Zeitmodi durch das Internet

Gleichzeitigkeit und Werden

Um eine Internetspezifik der Zeit formulieren zu können, ist eine medienphilosophische Reflexion der Verflechtungen von Medium und Zeit, sowie von Medialität und Zeit zu untersuchen, wobei zwischen Medium und Medialität zu unterscheiden ist. Derrida fordert ein metaphysisches und phänomenologisches Zeitdenken und ein Weggehen vom Präsentismus bzw. vom Gegenwartsprimat. Er hat die Medialität mit den Begriffen der différance und Spur, als Entzug von Anwesenheit, als eine spezifische Zeitlichkeit entwickelt, und damit einen Zeitbegriff, welcher in der Medialität ein spezifisches Werden impliziert und damit die Prozessualität der gezeitigten Zeitigung ( Spur) präferiert. Gegenwart wird hier als Zäsur bestimmt. Er initialisiert Gegenwart als eine Intervallstruktur der gezeitigten Zeitigung. Nach Deleuze ist diese Prozessualität ´die Zeit selbst`.

Dieser Gedanke wird in unserer ´Philosophie der Leerstelle` eine Ausgestaltung erfahren. Gleichzeitigkeit wird bei McLuhan als Prozess gleichzeitiger Verzweigungen betont, welche die Grenzen zwischen Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart aufheben. Damit schließt er an den Neurophysiologen Eccles an, der die neuronale Innenzeit als Gleichzeitigkeit modulärer Verknüpfungsnetze erklärt. McLuhan erweitert diese Sicht auf die technische Kommunikation und sieht darin eine Extension des menschlichen Zentralnervensystems, so wie er die Technologie als Extension des Menschen sieht.

Dieses technische Zeitverständnis findet sich auch bei Virilio und Kittler. Virilio vertritt eine These der radikalen Destruktion der Zeitsysteme und postuliert Zeitregime der reinen Geschwindigkeit. Er ersetzt die drei Zeitformen Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft durch zwei Zeitformen: die reale Zeit (Echtzeit) und die aufgeschobene Zeit und plädiert damit für eine mediale Destruktion unserer zeitlichen Basissysteme. In seiner Kritik an Virilio führt Kittler sein Konzept einer ´Simulationszeit` ein, mit welcher er die aufgeschobene Zeit bei Virilio ersetzen will. Baudrillard setzt die ´Phase der Entsimulierung` dagegen.

Der Gegenwartsprimat

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt wird die Untersuchung der Transformation der Zeitmodi zugunsten eines Gegenwartsprimates sein. Ist die These vom Primat der Gegenwart in dieser Schärfe überhaupt aufrecht zu erhalten? Es soll die Uneinheitlichkeit und Vielfältigkeit der Denkansätze diskutiert werden, um zu einem eigenen zeittheoretischen Ansatz für Zeit in und durch das Internet zu gelangen.

Hermann Lübbe spricht von einer „Gegenwartsschrumpfung“ durch eine Verdichtung von Gegenwart im Zusammenhang mit der Verkürzung von Fristen als rückläufiger Extension des Zeitraumes in einem gegebenen System und damit einer erlebten Zeitverknappung. Dieser Theorie widerspricht Großklaus, indem er fragt, ob in der technisch vermittelten Gestaltung der Gegenwart überhaupt noch von Gegenwart zu sprechen ist, und wenn ja, ob sie nicht als Dehnung der Gegenwart zu einem Feld im Sinne von ´Feld-Verdichtung` durch Synchronizität, als nichtlinear, sondern netzartig verzweigt, zu bestimmen sei. Wie auch bei Luhmann liegt hier der theoretische Fokus auf der Differenz zwischen Technozeit und Bewusstseinszeit und damit auf der Zeitlichkeit der Bezugssysteme, wobei Luhmann noch die Gegenwärtigkeit, in der allein etwas geschehen kann, punktuell zwischen Vergangenheit und Zukunft ansiedelt. Es wird deutlich, dass die Bestimmung des Zeitbegriffs abhängig davon ist, in welchen Begriffsfeldern er ausgeführt wird.

Die Transformation des temporal bestimmten Ereignisses durch das Internet. Die Beziehung von Zeichen – Symbolver­mitteltheit

Das Ereignis als Zeichen

In einer Weise wird das Netz selbst zum Ereignis. Wir fragen:

– Ist es erreichbar, dass es unsichtbare Zeichen wirklich in die Sichtbarkeit schaffen?

– Ist es möglich, all das, was das Zeichen aussagt, auch wirklich zu erfassen, oder sind verbergen und entbergen, wie in der Falte von Leibniz, rezipiert von Deleuze das, was das Zeichen ausmacht? Wie ist das Zwischen situiert?

Ist das Ereignis aus Zeichen konzipiert oder ist es selbst Zeichen? Was können wir bezeichnen? Es sind die Zeichen von Zeichen von Zeichen. Bild, Sprache und Schrift erfahren ständig neue Zuweisungen. Denn sie sind im Zwischen des Netzes. Der user ist Sender und Empfänger zugleich. Er ergreift die Möglichkeiten, erzeugt eine virtuelle Realität. Das Zwischen des Netzes ist eine menschengemachte Maschine ,im Sinne von ´Maschine-machen` nach Deleuze/Guattari einerseits, andererseits dienen die Strukturen nicht nur dem Zweck; unhintergehbar konstituieren sie eigene Wirkungen, die ihrerseits eigene Zwecke erfüllen, welche veränderlich und zukunftsoffen sind. Das zur Erscheinung Gebrachte ist die in der Differenz eingelassenen Spur aus Werden und Nicht-gewordenem, aus innen und außen, aus dem Spiel der Möglichkeiten. Welche Rolle spielt der Hypertext als Zuspitzung, als Verweisung?

Die mediale Transformation unseres Wirklichkeitserlebens und –verständnisses in Konfrontation mit der tradierten Denkweise des Menschen

Jede Epoche ist durch den Gebrauch und die Verbindung einer Vielzahl von Medien gekennzeichnet. Es ist zu untersuchen, inwiefern Verflechtungen und Implikationsverhältnisse im Internet und durch das Internet eine spezifische Umkonzeptionierung der Pluralität von Zeitvorstellungen zulässt und/oder vorantreibt. (Sandbothe).

Wenn wir Medium als etwas begreifen, wodurch etwas zur Erscheinung kommen kann, das etwas zur Erscheinung bringt (Kant), dann müssen wir anerkennen, dass das Medium Internet nicht als Substanz, sondern von seiner Bewegung her, das es durchläuft, zu fassen ist. Die sinnliche Wahrnehmung als Primat der Erkenntnis, ist ihr noch zu trauen, oder hinken wir hoffnungslos mit unserer tradierten Denkweise der transformierten Temporalität im Internet und durch das Internet hinterher? Es wird nicht mehr in den Zeitmodi erlebt, sondern die Zeit ist in erster Linie Technozeit versus Bewusstseinszeit. Technozeit ist Zeit, geronnen in der Erfüllung (Erstellung eines Werkzeuges, einer Maschine (Marx), der Weg bis dahin ist die Bewusstseinszeit. Beide Temporalitäten sind als eine Funktion des Subjektes aufzufassen. Die medienphiloso­phische Zeittheorie wird in der Literatur als transformationsbedürftig und transformations­fähig (Sandbothe) beschrieben. Ist das so? Die mediale Transformation unseres Wirklichkeitserlebens- und -verständnisses, unsere Wahrnehmungs­formen werden durch institutionelle und technische Entwicklungen ohne Zweifel durchgängig vom Menschen wechselweise mit seinen traditionellen Denkweisen in Konfrontation gebracht.

Die „Philosophie der Leerstelle“

Das Werden in der Zäsur

Die Zäsur ist für uns der Ort, besser der Zeitpunkt, wo die Gesamtheit der Zeit in ihrer dichtesten Form, in der Fülle ihrer Möglichkeiten versammelt ist. Die Bezeichnung ´Leerstelle` erscheint uns dann gut gewählt. Sie unterscheidet sich von Deleuzes Zäsur und fasst diese weiter. Wer die Zäsur wirklich verstehen will, sollte Zeit nicht als bloße Ordnung oder Reihe auffassen, sondern als Gänze, als Wirbelsturm, der spiralförmig die Zeitmodi aneinander vorbei gleiten lässt und die Fülle der Gesamtheit der Zeit gleichsam in der Leere des Auges des Sturmes versammelt.

Zeit ist ein Werden in einer Weise, die sich unabhängig von einem sich bietenden Spiel der Möglichkeiten vollzieht. Was soll das heißen? In diesem einen Moment gibt es Erhalt und Potenz, gibt es Stille und Sturm, gibt es Welt und Geist. In diesem einen Moment explodieren die Möglichkeiten. Aus dem Wirbel der Explosion steigt ein Gewordenes empor. Es ist. Damit trägt das Gewordene die Zeit in sich, denn Werden vollzieht sich, es schreitet voran, es wird gegenwärtig und bietet sich der Anschauung dar.

Die Verflechtung von Leere und Netz in der Temporalität

Ist die ´Leerstelle` die Zeit, in der sich alles entscheidet, größte Potenz und größte Fülle zugleich? Wird dieser von uns gewählte philosophische Ansatz, Ereignis als Zeit zu bestimmen, in Gänze Ereignis abbilden als Spiel der Möglichkeiten? Ohne Zweifel bietet diese Herangehensweise die Möglichkeit, Potentiali­tät, Internet und Ereignis temporal zu verbinden. Die Verflechtung von Leere und Netz in der Temporalität, scheint uns eine neue Denkstruktur zu sein. Wir möchten diese Art des Denkens mit der Wirkung der sich im Ereignis entfaltenden Zeit auf unsere Wahrnehmung untersuchen. In dem Begriff Zeit ist der gesamte Kosmos menschlicher Lebenswirklichkeit versammelt.

Ist es in der inneren Struktur der biomateriellen Voraussetzungen unseres Gehirns wirklich so, dass es als Netz fungiert (Deleuze), oder ist es nicht eher so, dass sich in der Matrix unserer sinnlichen Wahrnehmung ohne ein Zutun von Ursache und Wirkung eine Spur eingräbt, die in der Differenz von Sein und Nichtsein, das abbildet, was wir dann als Realität bezeichnen?

In der Anerkennung der ´Leerstelle` mit ihrer Potentialität, ihrer dichten Virtualität entwerfen wir ein Bild von Wirklichkeit, das wir nie ganz erkennen können, aber im Werden erfahren, mit seiner ungeheuren Kreativität. Das Werden ist Möglichkeit. Die Möglichkeiten sind in der ´Leerstelle` versammelt. Das Sein ist konzentriert in der ´Leerstelle` eingelassen. Es ist die Zeit, welche die ´Leerstelle` ausmacht. Ich situiere Zeit als Möglichkeit, als Ergreifen von Möglichkeiten.

Kreativität

Die Kreativität situiert Zeit

Ist die Differenz vom Eintreten ins Netz und dem sein im Netz nicht diejenige, die ereignisphilosophisch Kreativität erzeugt und damit das radikal Neue möglich macht? Hier scheint sich eine entscheidende Schnittstelle zwischen Internet, Zeit und dem Phänomen Kreativität aufzutun. Mit Whitehead können wir von dem metaphysischen Prinzip des Fortschreitens von der Getrenntheit zur Verbundenheit sprechen, wobei immer ein neues Ereignis erschaffen wird, das von den Getrennten sich unterscheidet. „Die vielen werden eins und um eins vermehrt.“ (Whitehead). Dieses Denken entspricht auch der Herangehensweise von Deleuze/Guattari: „Das Eine ist nur dann ein Teil der Vielheit, wenn es von ihr abgezogen wird.“ Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Zeiterfahrung durch den ´Zeitsog` im Internet virtualisiert, beschleunigt und dekontextualisiert wird, ist es doch von Interesse, in welcher Form die Ereignisbildung zutage tritt. Finden wir die Konfiguration des Ereignisses im Zwischen, das heißt in der Leerstelle, wo noch nichts ist, der Leerstelle mit all ihren durchscheinenden Rändern, dann erfahren wir vielleicht, warum und wie ein Ereignis aus dem Grund der Möglichkeiten auftaucht und sich realisiert und damit Zeit erzeugt: Das Ereignis ist die Zeit. Vielleicht können wir erweitern: Die Kreativität ist die Zeit?

Kreativität durch appräsente Präsenz

Was ist Kreativität? Kreativität ist nach Whitehead das „Prinzip von Neuen“. Das ist das Neue, das es bisher noch nicht gab. Diese Art Kreativität „meint die Transformation, das Durchbrechen, das Ersetzen alter durch neue Prinzipien, Regularitäten und Gesetzmäßigkeiten“. (Abel). Diese Bedingungen erfüllt das Internet in Gänze.

Die zeit-philosophische Analyse des Internets macht deutlich, dass sich im Netz sowohl gemeinschaftlich konstruierte Präsenzzeiten als auch die appräsente Präsenz, auch telematische Appräsenz, (nach Husserl – Appräsentation) von usern offenlegen. Wie beeinflussen sich diese Zeiten gegenseitig, verstärken sie sich, schwächen sie sich ab oder bringen sie gar eine ganz neue Art von Kreativität hervor? Es ist überhaupt zu untersuchen, inwieweit die Ereignisse durch ihre weltumspannenden Verflechtungen andere Temporalitäten erzeugen aufgrund der wirkmächtigen Kreativität, so wie sie nur im Netz sich entfalten kann. Pars pro toto (ein Teil für das Ganze) – das ist zeitigende Zeitlichkeit im Werden. Es ist anzuerkennen, dass sich in einem spiralförmigen Werdensprozess, im Internet, unabhängig von Hardware und Software ein Neues, Nicht-gedachtes, Nicht-vorprädikatives vollzieht.

Es ist die These zu stellen: Das Phänomen der Pluralität und Heterogenität unseres Seins durch die Transformation unseres Zeiterlebens wird in der Zukunft ganz andere Strukturen als das Internet hervorbringen. In Analogie zu den Forschungen der Quantenphysik (Prigogine/Stengers) wird die Philosophie eigene Forschungsfelder vordenken müssen, welche die naturwissenschaftlichen Untersuchungen beflügeln.

Ausblicke

Zu denken ist dabei an die Einführung unterschiedlicher Betrachtungsweisen von Zeit. Weg von einer nicht vorhandenen Wirklichkeit hin zu einer von Fiktion, Simultation und Virtualität durchsetzten Wirklichkeit als der einzig anzuerkennenden Realität. Ihre Ausdifferenzierung kann nur zeitlich erfolgen. Es ist also anzuerkennen, dass die Frage nach der Zeit eine immer größere Bedeutung zur Bestimmung unseres Seins erlangt. Die nächste Frage wird als die Frage nach der Durchdringung der Temporalität, des Pulses, in unser alltägliches Sein zu stellen sein. Diese kann mit der Ontologie und Phänomenologie der Medien beantwortet werden, indem ich zulasse, eingefahrene Denkstrukturen zu verleugnen und offen das Undenkbare denke. Auf die Spitze getrieben: Die These, dass wir in einer Virtualität leben, die rein temporal bestimmt ist, dass nichts so ist, wie es scheint, dass Sein als Sein auch Nicht-Sein ist, wird in der Zukunft zu belegen sein. Ein Weg dorthin ist, Sein auch als Zeit und Zeit als Wirkursache in ihrer Zwecksetzung, in ihrer Kontingenzbeschleunigung und Pluralisierung zu fassen im Schnittfeld der Mensch-Computer-Interaktivität. Jedes Medium schafft eine andere Weltsicht. Das Medium Internet mit seinen physikalischen Einheiten einerseits, die als cybernetic turn bezeichnete grundsätzliche Umorientierung der Realitäts- und Wirklichkeitskonzeption andererseits, werden etwas gänzlich Neues hervorbringen. Die Erweiterung unserer Denkstrukturen, unseres Bewusstseins, die Fortschritte der Converging Technologies (NBIC) werden bewirken, dass aus der globalen Vernetzung eine universale Vernetzung ersteht.

Literatur

Abel, Günter (Hrg.). 2006. Kreativität. XX. Deutscher Kongress für Philosophie. 26.-30. Sept. 2005 in Berlin. Hamburg: Meiner.

Ahrens, Daniela, Anette Gerhard und Karl H. Hornig. 1997.Experimentierfelder der Spätmoderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Baudrillard, Jean. 1994a. Die Illusion des Endes oder: Der Streik der Ereignisse.Berlin: Merve.

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Bergson, Henri. 1988. Einführung in die Metaphysik. Cuxhaven: Junghans.

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Deleuze, Gilles und Félix Guattari. 1976. Rhizom. Berlin: Merve.

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Deleuze, Gilles. 1989. Das Bewegungsbild. Kino I. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Derrida, Jacques. 1974. Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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